Text: Dagmar Ellen Fischer / Foto: Mapili Theater
„Was bist du nur?“ Simon schaut das erdfarbene Wesen fragend an. Das gibt keinen Ton von sich, krabbelt aber langsam auf den Jungen zu. Der möchte es unbedingt vom Strand mit nach Hause nehmen und streichelt ihm behutsam über den Rücken. Doch bei der ersten Berührung weicht es zurück … Das kleine Findeltier versetzt Simon in Erstaunen, und so nennt er es Nuna – ein Wortspiel aus Nanu!
„Simon und Nuna“ heißt das jüngste Stück des Mapili Theaters, das am Sonntag im Hamburger Puppentheater uraufgeführt wurde. Manuel Virnich ist Erzähler und Gitarrist, Puppen- und Schauspieler. Zu Beginn sorgt er pfeifend zur Gitarre für eine ruhige Stimmung im allmählich dunkler werdenden Raum, so können sich auch die jüngsten Zuschauer an die (vielleicht) unbekannte Atmosphäre gewöhnen. Dann beginnt er seine Geschichte mit „Es war einmal …“
Er erzählt von einer Schildkröte, die in einem südlichen Land am Meer lebt – bis sie eines Tages von einem heftigen Sturm fortgespült wird. Durch die unfreiwillige Reise verliert sie nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihren Panzer; schutzlos und erschöpft landet sie schließlich auf festem Boden, wo Simon und sein Vater sie finden. Beim Durchforsten eines Tierbilderbuchs erkennt der Junge Nuna als panzerlose Schildkröte; und plötzlich versteht er, warum sie auf ihrem empfindlichen Rücken nicht berührt werden wollte.
Simon hat die entscheidende Idee: Ein Fahrradhelm soll den fehlenden Schutz ersetzen! Also schnallt sein Vater dem verletzlichen Tier einen stabilen, knallroten Helm um – und sofort wird es unternehmungslustiger. Nun steht der Freundschaft zwischen Simon und Nuna nichts mehr im Weg: Sie essen, schlafen und spielen zusammen. Dass Schildkröten keine Spaghetti mögen, ist dem Jungen zwar unverständlich, dennoch sorgt er umgehend für eine Schildkröten-freundliche grüne Blatt-Mahlzeit. Abends, wenn seine Beine im Bett zappeln, kommt er zur Ruhe, sobald Nuna sich zu ihm legt. Und tagsüber fahren sie Skateboard: Nuna auf dem Brett und Simon auf ihrem stabilen Helm-Rücken. Als abschüssige Rampe dient ihnen der aufgestellte Gitarrenkoffer – eine Szene, bei der die Kinder im Publikum vor Vergnügen kreischen.
Für Simon hätte das Leben endlos so weiter gehen können, wäre Nuna nicht eines Tages krank geworden: Die Schildkröte bekommt Fieber, und Simons Vater diagnostiziert Heimweh. Doch auch für dieses Problem finden die beiden eine Lösung: Sie bauen eine Insel als Schildkröten-Heimat, mit Wasser(-Ersatz), Palmen und einer als Sonne verkleideten Licht- und Wärmequelle. Und so wie Nuna zuvor einen Platz in Simons Welt bekam, kriegt nun Simon auch seinen auf Nunas Insel. Und bald vollzieht sich eine wundersame Verwandlung …
Die Geschichte der ungewöhnlichen Freundschaft stammt von Manuel Virnich selbst, feinfühlig in Szene gesetzt von Peter Markhoff, ebenfalls Schauspieler und Regisseur. Großartige Ideen durchziehen die rund 50 Minuten dauernde Inszenierung; so dient beispielsweise eine hängende blaugrüne Stoffbahn als Meer, auf das die Schildkröte zu Beginn gerät, indem Hände von der rückwärtigen Seite nach ihr greifen und sie so auf die offene See hinaus tragen.
Mühelos wechselt Manuel Virnich von der Erzähler-Rolle in jene von Simons Vaters und wieder zurück, für die Kinder leicht erkennbar an der jeweils ab- und aufgesetzten Brille. Das Publikum wird einbezogen, ohne speziell aufgefordert zu sein: Wenn Simon auf der Suche nach Nunas Identität die Tierabbildungen im Buch mit dem Original abgleicht und gemeinsam mit den Kindern lachend feststellt, warum Nuna weder eine Qualle noch Fisch sein kann. Theater ohne hektische Elemente, aber mit viel Spannung und jeder Menge liebevollen Details für Kinder ab vier Jahren.