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Tartuffe

Ernst Deutsch Theater
Tartuffe

Orgon (Charles Brauer, re.) lässt sich schröpfen, bis der Gerichtsvollzieher (Wolfgang Grindemann, li.) kommt.

Text: Hans-Peter Kurr / Foto: Lea Fischer

Molière à la Molière, nicht verexperimentiert, nicht in verblichenen Jeans, auch nicht im Frack, sondern lediglich ein wenig nach Norden, nach Holland, verlegt und etwa ein Dezennium weiter in Richtung unserer Gegenwart verschoben. So wie es bereits in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Jean Anouilh in Paris versucht hat, mit einem sehr interessant geänderten Schluss versehen (der Kommissar als Deus ex Machina mit der Bleikugel in der Hand musste weichen), mit einem vorzüglichen Ensemble inszeniert von einem Regiemeister mit traditionellem Hintergrund, den die Hamburger seit der Spielzeit 1969/70 kennen, als er z. B. im Deutschen Schauspielhaus den Karl Moor in Schillers „Räubern“ spielte und der später als einer der Buckwitz/Klingenberg-Nachfolger das Schauspielhaus Zürich mit stilvollen Inszenierungen adelte: Gerd Heinz!

Aus jenen fernen Schauspielhauszeiten an der Kirchenallee kennt jener Regisseur auch Heinz G. Lück und gebiert die ebenso verrückte wie hinreißende Idee, die Mutter des von Molière erfundenen Familienclans, Madame Pernelle, männlich zu besetzen, sie aber als grantiges Weib spielen zu lassen. Und der alte Hase Lück macht daraus eine so gelungene Studie, dass allein ihm zuzuschauen einen ganzen Theaterabend wert wäre. Das gilt nachgerade für alle Rollenbesetzungen: Welch einen köstlichen Orgon gibt der vielseitige Charles Brauer (ebenfalls aus der alten Hochqualitätsriege des Schauspielhauses stammend), welch durchdachte Titelfigur zeigt der aus Berlin ausgeliehene Werner Rehm. Und aus welch wertkarätigen Menschendarstellerinnen besteht die weibliche Übermacht im Hause Orgon mit Julia Hansen als verführerisch junger zweiten Ehefrau Elmire, Isabel Berghout als aufmüpfiger Tochter Mariane, Leslie Malton als deren Beschützerin, bei Heinz von der einfachen Zofe zur Hauslehrerin avanciert. Auch die kleinste Episodenrolle, von Theaterleuten Wurzen genannt, ist – einem der zahlreichen ungeschriebenen Gesetze des Sprechtheaters folgend – so hoch besetzt, dass man sie nicht vergessen kann: Oliver Warsitz als Kommissar muss in diesem Zusammenhang ebenso genannt werden wie Wolfgang Grindemann, der den vom Regisseur in einen Gerichtsvollzieher verwandelten Monsieur Loyale mit seinem wie stets unverwechselbar dezent verdeutlichenden Mimus bewundernswert spielt. Felix Lohrengel in Molières Adaption der biblischen Geschichte vom verlorenen Sohn als Junior Damis ist hier zu nennen und nicht zuletzt Orgons vernünftiger Schwager Cléante, der in dieser Inszenierung zum Künstler in der Kaufmannsfamilie geworden ist. Neben dessen Verbalattacken ist sein Betätigungsfeld die nie zu Ende geführte malerische Verzierung der Wände des sich von Akt zu Akt vergrößernden Wohnraumes des Clans, dramaturgisches Sinnbild dafür, dass in Molières einzigem Stück, in dem sich Charaktere entwickeln und nicht – wie sonst üblich und vom Dichter gewollt – Typen am Ende unverändert geblieben sind, sich lediglich in veränderter Lebenssituation befinden. (Ausstattung hinreißend einfach: Lilot Hegi).

Und auf keinen Fall unerwähnt bleiben darf in diesem hymnischen Reigen die wunderbare Endreimübersetzung des 2012 verstorbenen, ehemaligen Thalia-Chefdramaturgen Wolfgang Wiens, die von einem Sprachliebhaber wie Gerd Heinz betreut und von einem ebenso hoch-homogenen wie -motivierten Schauspielensemble verwirklicht, ihre volle Köstlichkeit, ihren ästhetischen Reiz und ihren blumenkelchigen Duft entwickeln darf.

Fazit: Nach den Molière-Erfolgen des Regisseurs und Schauspielers Jörg Pleva, die vor Jahren den Spielplan des Ernst Deutsch Theaters zierten, wieder eine Präsentation des Unterhaltungschefs am Hofe Ludwigs XIV., Jean-Baptiste Poquelin, der sich Molière nannte, an der Mundsburg, die in ihrer hohen Qualität wirklich nicht zu überbieten ist.

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