Text & Foto: Adrian Anton
Am 2. und 3. Mai 2015 fand die dritte Konferenz „Theater + Netz“, organisiert von Nachtkritik und der Heinrich-Böll-Stiftung, in Berlin statt. In diesem Jahr unter dem Motto: Technik, Ästhetik, Politik.
Der erste Tag von „Theater + Netz“ stand mit seinen Workshops und Impulsvorträgen noch ganz im Zeichen des Internets: Der Eröffnungsvortrag von Nishant Shah zu „Beyond the Spectacle Imperative: Performing Chance in the Age of the Digital“ war sehr unterhaltsam und sorgte mit seinen kuriosen Beispielen, die nur bedingt mit digitalen Entwicklungen zu tun hatten, für viel Gesprächsstoff im Foyer der Heinrich-Böll-Stiftung. Der Delphin, der sich in eine Wissenschaftlerin verliebt und diese zum Sex überredet, war die wohl prägnanteste Anekdote. „Irgendetwas mit Delphinen“ wurde zum Runnig-Gag der Konferenz, so dass Aussagen wie „Facebook is your stalker“ eher in den Hintergrund gerieten. Eigentlich merkwürdig, aber solche Dynamiken entwickeln ja bekanntlich ein Eigenleben.
Die anschließenden Workshops zum Thema „Theater + Netz“ schauten sehr aus Sicht der Theater. Zuschauer hacken, digitales Theatermarketing, Digitalrecht, Reichweiten-Optimierung für Theater: SEO, Facebook, YouTube, Archivierung, Campaigning und neue Social Media Plattformen, Theaterblogs.
Für die meisten Theater stellt das Netz offensichtlich nach wie vor in erster Linie ein Marketing-Instrument dar. Gute Beispiele finden sich hier: Praxis des digitalen Theatermarketings von Holger Kurtz. Was bisher völlig fehlt, ist eine inhaltliche Auseinandersetzung oder Einbindung, auch auf der Konferenz „Theater + Netz“ überwog die Sicht der Akteure aus der Theaterwelt.
Etwas blass erschien der von vielen mit Spannung erwartete Impulsvortrag von Berlins medienwirksamem Kulturstaatssekretär Tim Renner zu „Berlins digitaler Theaterversion“. Allerdings waren kaum visionäre Ideen zu erkennen, da Livestreams im Theater bereits ausgiebig und kontrovers diskutiert werden. Tim Renner spielte ansonsten den Ball an die Theater zurück: Die Visionen müssten vom Theater kommen. Warten wir ab, was da kommen mag.
Der zweite Tag ließ die digitale Komponente beinahe völlig außen vor und stand unter dem Motto Theater und Politik mit Penals zu künstlerischem Aktivismus an Beispielen aus Tallinn und Ungarn. Zum spannenden und hochaktuellen Thema „Theater zwischen Pegida und Lampedusa“ sprach Amelie Deuflhard von Kampnagel mit Wilfried Schulz vom Staatsschauspiel Dresden. Zurzeit läuft ein Ermittlungsverfahren gegen Amelie Deuflhard, ihr wird ein Verstoßes gegen das Aufenthaltsrecht vorgeworfen, da beim Projekt Eko-Favela von Baltic Raw fünf Lampedusa-Flüchtlinge Unterkunft auf Kampnagel bekommen haben. Hier wird die Brisanz von politischem Theater ebenso deutlich wie bei der von Schulz beschriebenen Situation in Dresden, wo die Kultur zu politischer Positionierung gezwungen ist, da die Politik sich einer Positionierung zu entziehen versucht.
So spannend dieser zweite Konferenz-Tag mit seinem politischem Schwerpunkt auch war – eine Einbeziehung digitaler Entwicklungen wäre auch hier möglich gewesen. Was fehlte, waren Netz-Aktivist*Innen oder Phänomene aus der digitalen Welt. Eigentlich verwunderlich, dass Theater, die sich sonst sehr gerne an rebellischer oder widerständischer Ästhetik orientieren, nicht weiter für politischen Netz-Aktivismus zu interessieren scheinen. Aber vielleicht sieht das in einem Jahr schon ganz anders aus, wenn in Berlin die vierte Konferenz „Theater + Netz“ stattfinden wird.
Liveblog über die Konferenz: https://liveblogtheaterundnetz15.wordpress.com/