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Tote geigt Lebensmüder die Meinung

„Ich, Du, Marina“, Lichthof Theater
Ich, Du, Marina

Marina (Solveig Krebs, l.) verdeutlicht einer Lebensmüden (Lucia Peraza Rios), was wahre Kunst ausmacht.

Zwei Frauen sprechen über Kunst, das Leben, den Tod. Die eine ist nervös, fahrig, unruhig, reißt mitunter Bücher aus der langen Mauer aus Geschriebenem, die die Bühnenfläche begrenzt. Sie ist „Ich“ in dem neuen Stück von Nino Haratischwili, „Ich, Du, Marina“, dessen Uraufführung die Autorin selbst am Lichthof Theater inszenierte.

„Ich“ – die Autorin? – steht auf dem Fensterbrett des 12. Stocks eines Moskauer Hochhauses und will ihrem Leben ein Ende bereiten. Eine Schaffens- und Lebenskrise hat sie hierher gebracht. Einen Ausweg sucht sie im Gespräch mit Marina Iwanowna Zwetajewa (1892-1941), einer russischen Schriftstellerin, die ihr hartes, unglückliches Leben 1941 selbst beendete. Marina, beziehungsweise das Abbild von ihr, das die Lebensmüde benötigt, um sich zu retten, ist das ganze Gegenteil von „Ich“. Kühl, hart, klar und deutlich in ihren Aussagen, unnahbar, distanziert. Marina geigt der verzweifelten Suchenden gehörig die Meinung, setzt sie auf den Pott. Verdeutlicht ihr, was es heißt, sich ganz und gar der Kunst hinzugeben: Schreiben als Überleben. Davon hat die junge Frau auf dem Fensterbrett keine Ahnung. Da ist sich Marina ganz sicher. Die ist zwar angewidert von dem Leben um sich herum, in dem sie keinen Sinn sieht, hat aber das Überleben durch die Kunst ganz offensichtlich noch gar nicht versucht, zögert, zaudert, sucht. Kein Vergleich mit dem Schicksal der Marina Zwetajewa, die unbeirrt ihrer Kunst gefolgt ist, obwohl ihr die Wirren der russischen Geschichte in den 1920er und 1930er Jahren und persönliche Schicksalsschläge immer wieder zusetzten. Sie macht der Lebensmüden klar, dass sie allein bestimmt, was ihre Kunst ist. „Ich bin singulär“, sagt Marina, die keinen Hehl aus ihrer Verachtung für das Leben macht. „Ich“ dagegen sucht das Du, wirkt trotz allem Weltschmerz dem Leben zugewandt, dem sie am Ende erhalten bleibt.

Nino Haratischwili serviert dieses Mal schwere Kost, die mitunter zähflüssig über die Bühne kommt. Auch ist vieles schon tausendmal gesagt. Dennoch fasziniert der Dialog der extrem unterschiedlichen Frauen, der Wesentliches über wahre Kunst verdeutlicht und wieder einmal eine junge Frau von heute im Konflikt mit ihren Ansprüchen und Illusionen zeigt. Das liegt vor allem an den beiden Darstellerinnen, Solveig Krebs und Lucia Peraza Rios, die – auch wenn Lucia Peraza Rios in Sachen Nervosität mitunter überpowert – den Gegensatz zwischen der überzeugten Künstlerin und der irrlichternden Verwirrten überzeugend herausarbeiten.

Text: Christian Hancke
Foto: Ellen Coenders

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