Text: Angela Dietz | Foto: Sinje Hasheider
Oma erkennt den sechsjährigen Enkel Julian nicht mehr. Brot und Kekse vom fahrenden Brot-Harry will sie nicht wie sonst auch einkaufen und wundert sich danach, dass nichts im Haus ist. „Tüdelig inʼn Kopp. Wie Oma seltsam wurde“, das neueste Stück auf der Studiobühne des Ohnsorg Theaters, zeigt Kindern ab fünf Jahren, wie Julian mit der tüdeligen Oma umgeht.
„Ich bin doch nicht Jo!“, empört sich Julian, als Oma plötzlich seltsam wird und ihn wie seinen Vater nennt. Doch die Empörung währt nur kurz, denn der Junge entscheidet sich, ihr „Spiel“ mitzuspielen. Dadurch beschützt er sie und darf zugleich das Kind sein, das er ist, zumindest teilweise. Als Oma ihre gesamten Ersparnisse von der Bank abholen will, weil sie denkt, alle wollten sie beklauen, begleitet sie der Enkel mit Pfeil und Bogen.
Schon der langsame, mit sanfter Komik versehene Einstieg in Stück und Thematik – in der Christopher Weiß durch die große, vollgestopfte Wohnung schleicht und Tierstimmen sehr überzeugend imitiert, während Edda Loges auf dem roten Sofa zunächst schläft und dann erwacht – zeigt zugleich eindringlich, was im Kopf einer dementen, alten Frau vorgehen könnte. Hört sie das Muhen von Kühen, treibt sie, die Bäuerin, sogleich die Herde von der Weide in den Stall. Lustig ist das, weil Edda Loges eine Kuh mit persönlichem Namen anspricht, sehr realistisch samt Klapps auf den Hintern in die Küche schiebt und schließlich die (Ofen-)Stalltür zuklappt.
Wenn Oma durch die Zimmer wandernd nacheinander das Radio, den Toaster und den Staubsauger anstellt, mittendrin aufhört zu saugen und sich die Ohren zuhaltend zwischen den Mänteln an der Garderobe stehend wiederfindet, verstehen auch junge Zuschauer sehr genau, dass etwas nicht stimmt.
Dramaturgin und Studioleiterin Cornelia Ehlers und Regisseur Jasper Brandis haben aus dem Bilderbuch von Ulf Nilsson und Eva Eriksson eine stark erweiterte Bühnenfassung auf Hoch- und Plattdeutsch entwickelt. Der Wechsel zwischen den Sprachen gelingt aufs Beste, zumeist, indem Julian seiner Oma (auch) auf Hochdeutsch antwortet. „Tüdelig inʼn Kopp“ ist somit eine weitere Inszenierung auf der Studiobühne des Ohnsorg Theaters, die sich wie selbstverständlich beider Sprachen bedient und somit die Tradition des Plattdeutschen mit einer gewissen Leichtigkeit versieht.
Fein eingearbeitet sind neben der offensichtlichen Handlung weitere Ebenen: was sich in Omas Kopf abspielt, das Vertüdelte, was in Julians, nämlich seine Reflexionen und seine kurzen erzählerischen, ans Publikum gerichteten Einschübe. Schließlich verkörpert Christopher Weiß zusätzlich in sehr lustigen Skizzen Brot-Harry, den Bankangestellten und den Arzt.
Während Weiß mit viel Körpereinsatz und Komik seine Rolle meistert, etwa, wenn die Zeit vor- und zurückgespult wird, ist Edda Loges Oma eher von zurückhaltender Intensität, in deren Gesicht sich der Übergang vom Nebel zur Klarheit im Kopf deutlich widerspiegelt. Ihr schauspielerisches Duett, etwa in einer klassischen Spiegelei – alle Gesten und Mienen spielen sie später noch einmal rückwärts – harmoniert gut.
So wechseln rasante Szenen zu ruhigeren. Nach dem temporeichen Gitarren-Swing aus dem Off sind wieder ausschließlich die Schauspieler zu hören. Christopher Weiß sanft vorgetragenes, plattdeutsches Lied, auf der Gitarre von ihm selbst begleitet, vermittelt ein Gefühl für die Zuneigung zwischen Oma und Enkel.
Andreas Freichels Bühnenbild ist reich an Details, die der Wohnung der alten Dame das passende Zeitkolorit verpassen. Hinter mancher Schublade verbirgt sich außerdem ein kleines technisches Wunder.
Der Ohnsorg-Studiobühne ist es gelungen, das für viele Erwachsene beängstigende Thema „Demenz“ einfühlsam und zuweilen hochkomisch für ein junges Publikum zu inszenieren. Am Ende geht „Tüdelig inʼn Kopp“ gut aus, ohne zu verhehlen, dass Oma nicht ganz die bleiben wird, die sie einst war.
Aufführungen bis 5. März 2017, Ohnsorg Studio