Das Spiel im Spiel, der Rollenwechsel vom Schauspieler zum Schauspieler des Schauspielers – im Altonaer Theater hat das dramatische Theater im Theater zu einer beeindruckenden Ensembleleistung geführt. Mit „Sein oder Nichtsein“ – der Nick Withby’schen Theateradaption von Ernst Lubitsch’ legendärer Filmkomödie von 1942 – feierten die Darsteller am Premierenabend einen großen Erfolg.
Darf man über Hitler lachen? Im Programmheft wird dazu der bayerische Filmemacher Herbert Achternbusch zitiert: „Wer lacht ist obenauf, auch in der untersten Lage.“ Lachen als Notwendigkeit, gegen die Verhältnisse – und die sind nie so, dass man über sie nicht auch lachen können sollte. Die Verhältnisse, in denen das Original spielt, sind Geschichte: 1939, deutsche Truppen marschieren in Warschau ein, die jüdische Bevölkerung wird im Ghetto eingeschlossen, in Konzentrationslager deportiert. Eine Stadt kapituliert. Im Theater hatte man kurz zuvor noch ein Stück über Hitler einstudiert, das verboten worden war. Man hatte stattdessen den Hamlet gegeben. Nun ist das Theater geschlossen. Die Schauspieler – aus ihren Wohnungen vertrieben – sind dort eingezogen. Es schneit durchs Dach, der Spielbetrieb ruht. Bis die Schauspielerin Maria Tura (Anne Schieber) eine Vorladung zur Gestapo bekommt! Ihr Name steht auf einer Liste mit polnischen Widerstandskämpfern. Wie oft hatte Schauspieldirektor Dowasz (Ole Schlosshauer) genau davon geträumt: „Um das Leben spielen“. Jetzt bekommt das Ensemble die Gelegenheit dazu. Mit den Kostümen und in den Rollen und Requisiten aus dem verbotenen Hitler-Stück machen sich die Schauspieler auf, verlassen ihre Welt des Spiels, um in der anderen Welt eine Rolle zu spielen.
Freilich verlässt niemand die Bühne, die sich um die eigene Mittelachse dreht wie ein komödiantisches Karussell und die Schauspieler, die Schauspieler spielen, die zwar schauspielern, dabei aber als reale Personen in einem Theaterstück auftreten, immer wieder aufnimmt.
Das Komödiantische als Widerstand, Lachen ein Reflex. Im Altonaer Theater wurde viel gelacht, über den herrlich selbstverliebten Josef Tura etwa (Stephan Benson mit vollem Körpereinsatz) oder den nicht minder komisch überzeichneten Konzentrationslager-Erhardt (unerschrocken: Konstantin Graudus). Immer wieder gab es Szenenapplaus. Die Frage nach dem zeitgemäßen Kontext stellt sich nicht. Die Komödie wird zum Lehrstück in eigener Sache, nimmt sich vor, „die innere Widersprüchlichkeit der Welt“ (Ralf Kinder und Thomas Wieck im Programmheft) herauszuarbeiten, auch wenn die Welt mittlerweile eine andere ist – wer spielt eine Rolle, wer spielt nur eine Rolle, wer seine? Wer die eines anderen? Die Aufführung wird, wozu sie auch erdacht war: ein gutes Stück Unterhaltung, wozu in diesem Fall die schauspielerisch geschlossene Einheit des Ensembles beitrug, dessen Kraft im atmosphärisch dichten Zusammenspiel lag.
Beeindruckend leise und in der Überhöhung lakonisch: Jacques Ullrich als Schauspieler Grünberg, der mit seiner Anklage des Shylok schon in Lubitsch’ Film für den melancholischen Ton sorgte. Hier wird er zum Verfolgten, sein kleiner Sohn (ganz poetisch: Bela Brillowska) trägt die Anklage vor, während Grünberg selbst wieder in die Rolle Hitlers schlüpft. „Glauben Sie mir, das wird ein Riesenlacher“, hatte Grünberg in der ersten Szene noch gesagt, als er in der Rolle von Hitler nicht „Heil“ ruft, sondern „Ich heil mich selbst.“ Jetzt, am Schluss, lässt das Bild des zur Fratze verzogenen Hitlers mit dem verfolgten Kind an seiner Seite für einen Moment jeden Lacher erfrieren.
In weiteren Rollen überzeugten mit intensiver Spielfreude: Anne Schieber (Maria Tura), Andreas Christ (Fliegeroffizier Sobinsky), Kerstin Hilbig (Garderobiere Anna), Oliver Erwin Schönfeld (Schauspieler Rowicz), Jodie Ahlborn (Schauspielerin Eva Zagatewska), David Allers (Zensor, Gestapo, Sturmführer) und Klaus Falkhausen (Professor Silewski).
Regie: Christian Nickel, Ausstattung: Birigit Voss.
Vorstellungen bis zum 25. Mai.
Text: Stephanie Schiller
Foto: Jochen Quast