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Vielfalt als Markenzeichen

Rückblick auf die Privattheatertage 2012
Pauschalreise

Generationen auf der Wolke in der preisgekrönten „Pauschalreise“ vom Berliner Ballhaus Naunynstraße.

Ein Festival, das ausschließlich Aufführungen von deutschen Privattheatern zeigte, hat der Intendant der Kammerspiele, des Altonaer Theaters, des Theaters Haus im Park und des Harburger Theaters Axel Schneider 2012 erstmalig in Hamburg ins Leben gerufen. Zwölf Inszenierungen, von neun Juroren ausgewählt, wurden auf „seinen“ Bühnen sowie der des Lichthof Theaters gezeigt. – Hier ein paar Eindrücke aus den Tagen.

Wer sich des Stoffes von „Gegen die Wand“ annimmt, hat sich großen Bildern zu stellen. Fatih Akin hat für seinen gleichnamigen Film den Goldenen Bären bekommen. Regisseur Andreas Döring benutzt für seine Inszenierung eine frühe Fassung des Originaldrehbuches, die er bis auf einige Streichungen werktreu inszeniert. Das beinhaltete leider die Beibehaltung der türkischen Originaltexte (allerdings ohne die Untertitel des Films). So viel Texttreue und Naturalismus hätte zum Einfühlen nicht notgetan. Wie im Film läuft in der Inszenierung des Jungen Theaters Göttingen der Soundtrack ständig mit. Die Musiker, zu denen auch immer wieder die Schauspieler gehören, untermalen die dramatische Liebesgeschichte zwischen den Kulturen mit stimmungsvollem Liedgut. Jubelnder, lang anhaltender Applaus beendete die mitreißende Eröffnungsveranstaltung der Privattheatertage im Altonaer Theater.

Im Himmel auf einem Wolkenbett vor strahlend blauen Himmel begegnen sich für die „Pauschalreise“ die Generationen. Was nach Schrebergartenidyll aussieht, gerät jedoch zu einer ungeschönten Auseinandersetzung mit der Geschichte. Die Oma hat sich einen Urlaub mit allen Finessen geleistet, so erzählt sie ihrem Enkel. Schließlich sind 50 Jahre zu feiern. Doch nicht 50 Jahre mit ihrem Ehemann hat sie begangen, sondern mit Deutschland. Fürs Feiern dieses Anlasses hat die jüngere Generation allerdings wenig Verständnis. Ungefragt hineingeboren in dieses Deutschland stellen sie viele bohrende Fragen an die Großeltern, die die Entscheidung die Migration für sie mit fällten. Hakan Savas Mican hat einen anspielungsreichen, hochkomplexen Text als letzten Teil einer Trilogie über 50 Jahre Einwanderungsgesellschaft BRD im Berliner Ballhaus Naunynstraße geschrieben. Der variantenreiche Text kontrastiert stark mit der statischen Inszenierung von Lukas Langhoff. Die Darsteller reihen sich für jede Szene ein wenig zu brav auf der Himmelsbank ihrer gescheiterten Träume auf. Eine tolle Anregung für die Programmmacher der Hamburger Privattheater zu „postmigrantischen“ Inszenierungen mit dieser thematischen Relevanz!

Der Fremde „Othello“ – ein „Schoko mit Wurstlippen“ – ist der neue General, der Zypern gegen die einfallenden Türken verteidigen soll. Nicht nur seine Ernennung sondern auch die Liebesheirat des älteren Mannes mit der schönen jungen Desdemona ruft die Neider auf den Plan. Nur mit Hilfe seiner Sprache tröpfelt der gerissene Jago dem treu liebenden General das Gift der Eifersucht ein, bis dieser rasend morden lässt und selber mordet. Er tut das ohne jeden tragfähigen Beweis, allein die Macht der Worte wirft den starken, erfahrenen Mann zu Boden. Wie das Theater der Keller aus Köln unter der Regie von Stefan Nagel das in einer sprachgewaltigen Radikalfassung von Zaimoglu und Senkel auf die leere Bühne des Theaters im Park bringt, ist abstoßend, aufwühlend, atemberaubend und mitreißend zugleich. Zwei Dutzend silberne Herzensballons sind die einzige Bühnenausstattung. Zuerst schweben sie bis zur Decke, zuletzt liegen sie zerdrückt, zerplatzt und zerfetzt am Boden. Ihnen ist wie der Liebe und dem Vertrauen die Luft ausgegangen. Ein Höhepunkt der Privattheatertage, dem man volle Ränge gewünscht hatte.

Der Mond ist eine Metallscheibe, der Wald ein großer kahler Ast, der von der Decke schwebt. So schnell entsteht der Zauberwald von Oberon und Titania, in dem die unglücklichen Athener Liebespaare Zuflucht suchen und in immer neue Liebeswirren gestürzt werden, bis der Zaubergeist am Schluss endlich den Richtigen die Liebestropfen in die Augen getröpfelt hat. Die Komödie „Ein Sommernachtstraum“ (Regie: Benno Ifflans) von Shakespeare war schon immer für eine Unterhaltungsshow gut. Hier bei der Bremer Shakespeare Company ist sie in professionellen Händen. Sie schlagen nicht nur aus dem Verwirrspiel der Liebenden, sondern auch aus dem Possenspiel der Handwerker zur Vermählung des Herzogs volles Kapital, das auf die Lachmuskeln der gut gefüllten Zuschauerreihen des Altonaer Theaters zielt. Solides komödiantisches Können zeigten die wandlungsfähigen Profischauspieler, nicht mehr und nicht weniger.

Eine Hamburger Inszenierung ist unter den ausgewählten. Die Geschichte um Iphigenie auf Tauris kennt man. Doch bei „Orest reloaded“ des Regisseurs Paul-Georg Dittrich im Lichthof Theater liegt die Insel im amerikanischen Grenzland zu Mexiko. Der Hüter der Heimat und der Tradition Thoas wird hier zum Sheriff Joe Arpaio, dessen Mission es ist, illegale Einwanderer aus Mexiko ohne umständliche Gerichtsverfahren gleich zu eliminieren. Orest ist ein mexikanischer Flüchtling. Ausgerechnet Orests Schwester Iphigenie, soll die Vollstreckerin des Todesurteils sein. Sie ist selbst eine Fremde, die von Thoas durch Vergewaltigung gefügig gemacht wurde. Dittrich bringt den menschenverachtenden Inhalt schonungslos auf die Bühne. Auf den weißen Wohnwagen, in dem Iphigenie haust, werden die Schlachtszenen in Splatterambiente projiziert. Orest, seine Mutter, sein Stiefvater – alle baden förmlich in Blut. Die ungewöhnliche Besetzung mit zwei Jazzmusikern, zwei klassischen Sängern und einem singenden Schauspieler sorgten auch in musikalischer Hinsicht für zusätzliche Anreize zur Innovation. Dittrich holt den Stoff sehr dicht an die Zuschauer heran. Sein Mut hat sich gelohnt: Dittrich gelingt eine dichte, provokative und aufrüttelnde Inszenierung.

Die Vielfalt der Privattheaterszene versuchte dieses Festival zu zeigen. Das ist ihm eindeutig gelungen und es hat sich gleichzeitig als seine Schwierigkeit offenbart. Während andere Festivals ein eigenes Markenzeichen herausbilden können, das den Zuschauern verlässliche Anhaltspunkte für die Stückeauswahl an die Hand gibt, buchten sie hier mit ihren Karten ein Überraschungsprogramm. Die Macher des Festivals waren sich dieses Problems bewusst, daher hatten sie die Aufführungen in die Kategorien Drama, Komödie und Klassiker unterteilt. Denn wenn man nur die Ansätze vom „Sommernachtstraum“ und „Orest reloaded“ gegenüberstellt, wird klar, dass beide wenig außer dem Obertitel Klassiker gemeinsam haben. So war die Zuschauerauslastung sehr unterschiedlich. Die leichteren, unterhaltsameren Stoffe fanden durchgehend mehr Zuspruch. Bei der nächsten Ausgabe der Privattheatertage sollten daher außer dem Lichthof für die experimentelleren Inszenierungen kleinere Spielstätten ausgesucht und aussagekräftigere Programmankündigungen ohne die wenig hilfreichen diesjährigen Sparteneinteilungen gefunden werden.

Am Sonntag wurden in einer Gala in den Kammerspielen die diesjährigen Empfänger des Monica-Bleibtreu-Preises bekannt gegeben: „Pauschalreise“ wurde als bestes Stück in der Kategorie Drama, „Sommernachtstraum“ als gelungenste Inszenierung im Bereich „Klassiker“ und „Freaks – eine Abrechnung“ (vom Düsseldorfer Kom(m)ödchen unter der Regie von Hans Holzbecher) als interessanteste Aufführung in der Sparte „Komödie“ ausgezeichnet. Den Publikumspreis erhielt „Frau Müller muss weg“ vom Berliner Grips Theater unter der Regie von Sönke Wortmann.

Text: Birgit Schmalmack
Foto: Ute Langkafel

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