Es gehört zum Markenzeichen des Opernlofts, dass klassische Stoffe hier kräftig gegen den Strich gebürstet werden, bevor man sie mutig frisiert auf die Bühne bringt. Nun hat Regisseurin und Theaterchefin Inken Rahardt einen Mönch kurzerhand in einen Schönheitschirurgen verwandelt und lässt ihn im Wortsinn als Büstenhalter über die Bühne wandeln. Aber der Reihe nach.
„Thaïs“ heißt die eher selten aufgeführte Oper von Jules Massenet, dessen „Manon“ in der letzten Spielzeit am Haus Premiere feierte. Warum also nicht die zweite Oper als Fortsetzungsgeschichte der ersten erzählen? Die Hauptfigur Thaïs heißt also in der 90-Minuten-Fassung von Inken Rahardt und Susann Oberacker folglich Manon. Schon im Foyer treffen Manon (Lisa Jackson) und Des Grieux alias DG (Richard Neugebauer) im ariosen Reisefieber mit ihren Rollkoffern zusammen. Dann geht es mit den Darstellern in den Theatersaal.
Manons Welt ist eine verspiegelte Showtreppe (Ausstattung: Claudia Weinhart). Als abgehalftertes Model kehrt sie Paris den Rücken und trifft in L. A. auf Athanael (Jeong-hwan Park), einen grell geschminkten Dandy und König der kosmetischen Chirurgie, der als Insignien seines Triumphs über jegliche Hauterschlaffung statt eines Reichsapfels zwei Gummimöpse in den Händen hält. Mit standhaftem Bariton verspricht er Manon ewige Schönheit. Und da er sich unverhohlen in Konkurrenz zum Schöpfergott wähnt, verpasst er ihr auch gleich einen neuen Namen: Thaïs. Der Operntitel wäre somit schon mal gerettet.
Und Manon alias Thaïs jubiliert. Eben noch von tiefen Selbstzweifeln geplagt – in der berühmten „Spiegelarie“ lässt Jacksons sinnlicher Sopran uns die Zerrüttung ihrer Figur unmittelbar nachempfinden – sieht sie sich nun aufgenommen in den Kreis der Schönen und Gestrafften. DGs Liebesbeteuerungen hingegen – mit weichem Wohlfühltenor: Richard Neugebauer – verpuffen unerwidert in weiblicher Selbstgefälligkeit.
Der Konflikt des Original-Librettos zwischen Kurtisane und Mönch, der sie bekehren möchte, zwischen blanker Fleischeslust und übersinnlichem Seelenheil, wird hier – vordergründig betrachtet – aufs rein Körperliche verschoben. Aber ist die Selbstermächtigung der Medizin im Namen eines idealen Körperbildes nicht auch eine Form der Religion?
In eingespielten Videointerviews kommentieren die drei Figuren ihre Sicht auf das Bühnengeschehen, das – man weiß oder ahnt es – mit einem gefallenen Engel endet. Und mit großem Applaus – auch für die Musiker Markus Bruker (Klavier), Marina Kotelevskaya (Violine) und Martin von Hopffgarten (Violoncello), die zusammen mit drei Sängern in Bestform und einer ebenso gewagten wie gewinnenden Regie dieses selten aufgeführte Stück in eine musikalisch packende Parabel auf den Schönheitswahn verwandeln.
Text: Sören Ingwersen
Foto: Silke Heyer