Kinder & Jugend / Kritik

Wahres Leben

„Morgen Alaska“ von Michael Müller
Morgen Alaska

Fasziniert und doch vorsichtig nähern sich Emilia (Karolina Fijas) und Jonas (Patrick Abozen) an.

Ein fieser hoher Ton, begleitet von einem tiefen Brummton, markiert den Albtraum von Emilia (Karolina Fijas). Sie liegt zitternd im Utopia Mobilbus des Jungen Schauspielhauses im Schlafsack. „Jonas!“ Ein Schrei und sie fährt hoch. Jonas (Patrick Abozen) ist nicht mehr da. Eines möchte sie gleich klarstellen: „Es geht hier nur um Jonas.“ So beginnt sie zu erzählen, wie ein Zufall sie mit ihm zusammenbringt. Wie seine Suche nach Wahrhaftigkeit sie wieder trennt. Am Ende geht Jonas in die Wildnis, nach Alaska, seinen Sehnsuchtsort. Zurück bleibt Emilia, die nun weiß, dass sie verzichtet hat, was Jonas nicht konnte. Und nun ist auch offenbar, dass es nicht nur um ihn geht.

Doch die Geschichte von der Suche zweier Jugendlicher nach sich selbst ist keineswegs nur ein Albtraum. Sie lachen, fahren – in einer Videoeinspielung – Moped, sie lästern ab, streiten und sie reden und reden. Alles, was sie tun, ist energiegeladen und enthusiastisch. Rauschhaft diskutieren und philosophieren sie, jammen mit der Gitarre in der Hand. Aber während Emilia intelligent und furchtlos erscheint, ist Jonas erschreckend eloquent und hadert mit allem, am meisten mit sich. Wie kann man erwachsen werden, ohne so verlogen zu sein wie die Erwachsenen, so leistungsversessen wie Jonas‘ Mutter – oder ganz das Gegenteil, so lässig in den Tag hinein lebend wie Emilias Vater, der Musiker, der „Glückskeks“?

Auch Patrick Abozens Spiel ist energiegeladen. Ob er als Jonas für Emilia seinen Klettersieg im engen, von Katharina Philipp liebevoll und mit einem Augenzwinkern ausgestatteten Bus nachinszeniert, als stünde er tatsächlich in einer Bergwand. Oder den Radiohead Song „High and Dry“ (lass mich nicht im Stich) so zart und intensiv singt, dass man fürchtet, er würde gleich in die Knie sinken. Die junge Karolina Fijas ist als Emilia nicht weniger stark, aber mit mehr Bodenhaftung ausgestattet. Jonas‘ philosophische Eskapaden spiegeln sich nuanciert als Faszination und Skepsis auf ihrem Gesicht. Immer näher kommen sich die beiden, doch im letzten Moment, bevor aus inniger Freundschaft Liebe werden kann, zieht sich Jonas zurück. Regisseur Bernd Plöger inszeniert den poetischen und dichten Text von Michael Müller als eine durch und durch glaubwürdige coming of age Geschichte, an deren Ende mehr Klarheit steht, auch wenn sie schmerzt.

Text: Angela Dietz
Foto: Sinje Hasheider

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