Text: Dagmar Ellen Fischer | Foto: Marcella Braun
Mit verwundeten Kameraden und unzähligen Leichen mussten sie oft Wochen lang im Schützengraben ausharren – die Soldaten des Ersten Weltkriegs erlebten unvorstellbares Grauen. Wer das vierjährige Inferno überstand, war lebenslang traumatisiert. In „Weltenbrand“ vermittelt die Hamburger Gruppe „Achsensprung“ dem Publikum eine Ahnung vom Alltag des Krieges. Die 80-minütige Aufführung ist kein leicht verdaulicher Brocken, sondern ein theatrales Statement über die Sinnlosigkeit des Krieges – und damit ein zeitlos gültiges Stück für Zuschauer ab 16 Jahren.
Zitate aus der Rede des damaligen Kaisers Wilhelm II., Tagebucheinträge eines Soldaten und ein Dialog zwischen Arzt und Offizier, authentische Texte, projizierte historische Fotos und eine akustische Ebene aus Geräuschen und Musik verbinden sich zu Sinneseindrücken, die einen frösteln lassen. Das Publikum begleitet den Protagonisten Reiniger, eine Figur aus dem 1930 erschienenen „Heeresbericht“ des Autors Edlef Köppen. So ist nachvollziehbar, wie sich die Kriegsbegeisterung von 1914 allmählich in Zweifel und Ekel verwandelte, bis schließlich klar wird, „Krieg ist das größte Verbrechen!“.
Angeregt von rund 100 Feldpostkarten des Soldaten Paul Ueberschär, geschrieben an der Front und geschickt an seine Frau Ria nach Hamburg, initiierte nun dessen Urenkel – der Hamburger Schauspieler Oliver Hermann – den „Weltenbrand“. Als der Erste Weltkrieg 1914 begann, musste Ueberschär wie Tausende Deutsche seine Arbeit in der Hamburger Elbschlossbrauerei verlassen, um in den folgenden Jahren quer durch Europa kommandiert zu werden. Damit war er einer von fast 70 Millionen Soldaten, die auf vier Kontinenten in diesem Weltkrieg kämpften. Die Dimension dieser „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ ist nicht fassbar – es sei denn, man gibt dem grenzenlosen Leiden ein Gesicht: jenes von Paul Ueberschär. Weil aber die Feldpostkarten wegen der damals herrschenden Zensur nur wenig erzählen, nahmen Hermann und sein Team weitere Textquellen von Zeitzeugen hinzu: Neben dem erschütternden „Heeresbericht“ des Journalisten Köppen auch Gedichte von August Stramm, dem es erstmals gelang, mit zerhackten Rhythmen und Satzfetzen das Unmenschliche des Krieges in eine adäquate sprachliche Form zu gießen. Folgerichtig entwickelt sich aus den Bausteinen kein flüssiges Theaterstück, sondern ein Dokudrama, eine Collage aus gespielten Szenen, Musik und projizierten Bildern. Letztere stammen von Otto Dix, dem Maler, der sich nicht scheute, Schützengräben und Kriegskrüppel verstörend realistisch festzuhalten. Neben Oliver Hermann spielen Michael Bideller, der die Texte zusammenfügte, und Markus Voigt, dem es gelang, den „Weltenbrand“ akustisch und musikalisch erfahrbar zu machen; der Hamburger Schauspieler, Autor und Regisseur Erik Schäffler inszenierte feinfühlig. Alle Beteiligte haben während der Vorbereitungen Ahnenforschung betrieben und ihre (Ur)Großväter und deren Schicksale im Ersten Weltkrieg ausgegraben.
1914 lief eine Generation geschlossen mit fliegenden Fahnen zu den Waffen über, und alle waren sich sicher, dass sie in wenigen Wochen wieder zu Hause sein würden. Stattdessen dauerte der Krieg vier Jahre lang und vernichtete zirka 16 Millionen Menschenleben. Auf einer seiner letzten Feldpostkarten schreibt Paul Ueberschär, dass ihm „morgen eine Beichte abgenommen“ werde. Er starb 1918 nur fünf Wochen vor Kriegsende in Nordfrankreich.
17. 4., 20 Uhr, Krypta des Mahnmals St. Nikolai, Willy-Brandt-Str. 60, 12/10 Euro, Tel. 37 11 25
4. 5. 17 Uhr Friedhof Ohlsdorf. Weitere Termine unter www.weltenbrand14.de
Die Vorstellung ist von Schulen buchbar.