Text: Dagmar Ellen Fischer | Foto: Reinhard Winkler
Theater als Bilderflut ist seine Sache nicht. Seit fast dreißig Jahren arbeitet Luk Perceval als Bühnenregisseur. Der 1957 geborene Belgier sorgte als Kopf der „Flämischen Welle“ in den 1980er Jahren für frischen Wind in der Theaterlandschaft seiner Heimat. Mit den zwölfstündigen „Schlachten“, die sämtliche Königsdramen Shakespeares in einem Machtkampf-Marathon bündeln, kam im Jahr 2000 der internationale Durchbruch. Seit 2009 ist er Oberspielleiter am Thalia Theater. Seine Inszenierung von James Joyces „Verbannte“ steht im Oktober auf dem Spielplan – es ist das einzige (erhaltene) Theaterstück des irischen Schriftstellers.
James Joyce als „Ulysses“-Autor ist berühmt, sein einziges Drama „Verbannte“ dagegen unbekannt. Gilt auch für diese Ihre Inszenierung, sie so wenig wie möglich zu bebildern?
Ja, denn ich glaube nicht an Bilder. In unserer Zeit leiden wir an einem Überdruss durch Bebilderung. Bilder auf Handys, im Fernsehen, im Internet. Die Kraft des Theaters aber besteht für mich darin, sich auf Sprache zu fokussieren und auf die Bilder, die diese Sprache im Kopf auslöst. Damit die Sprache im Kopf Bilder auslösen kann, müssen die Zeichen auf der Bühne etwas suggerieren. Das bedeutet meist, so wenig Ablenkung fürs Auge wie möglich, damit man das innere Auge öffnet.
Was reizte Sie inhaltlich an dem vor fast hundert Jahren uraufgeführten Stück?
Zugegeben, es gilt nicht als das Beste der Weltliteratur; Joyce schrieb es nach Theater-Vorbildern seiner Zeit: realistisch, pathetisch, sich vielfach erklärend. Das mussten wir bearbeiten, denn heute erfassen wir viel schneller und brauchen weniger Suggestion, um zu wissen, worum es geht. Mich faszinierte, dass es etwas zeigt, was auch immer noch gültig ist: Wir Menschen sehnen uns einerseits nach Freiheit – in der Arbeit wie in der Liebe; andererseits haben wir Angst, allein zu sein. Joyce zeigt diesen Konflikt anhand eines Eifersuchtsdramas, doch nicht wie beispielsweise in „Othello“, wo die Hauptfigur Opfer der Eifersucht ist, sondern mit der Eifersucht als Mittel, um herauszufinden, wie weit wir einander loslassen dürfen …
Spielen religiöse Aspekte der streng katholischen, irischen Gesellschaft eine Rolle, in der Joyce aufwuchs?
Nein, wir haben das Stück nach Deutschland verlegt, damit es eine größere Allgemeingültigkeit bekommt. Außerdem war Joyce selbst ein „Papstfresser“, wie wir in Belgien sagen, der die katholische Kirche überhaupt nicht mochte. Es geht um eine Urmoral im Menschen und um etwas, das wir offenbar nicht akzeptieren können: Alles ändert sich im Leben, unser Körper, unser Denken, die Städte um uns herum; alles ist ständig in Entwicklung – nur die Liebe möchten wir festhalten, da darf sich nichts ändern!
In „Verbannte“ geht es konkret um ein Paar, das nach zehnjähriger Ehe an einem Punkt ist, sich durch Untreue eine neue Freiheit zugestehen zu wollen …
Die Liebe vielleicht in geänderter Form zuzulassen, ja. Es gibt viele Formen von Liebe, doch sie zu akzeptieren, ist schwierig, weil dann die Angst wieder kommt, allein zu sein. Diesen Gedanken in Joyces Drama fand ich unglaublich modern. Ich halte Angst für das am meisten prägende, destruktive und negative Gefühl unserer Kultur. Sobald ein Kind auf eigenen Beinen steht, wird es auf Gefahrenzonen hingewiesen und hört ständig: „Pass’ auf! Fass’ das nicht an!“ Das führt dazu, dass wir damit beschäftigt sind, Gefahren vorweg zu denken. Der Mensch ist ein Angst geprägtes Tier. Und obwohl wir in einer ziemlich behüteten, komfortablen Zeit leben – schon lange ohne Hungersnot und Krieg – haben wir nicht gelernt, unseren Geist zu beruhigen. Das versuche ich, auch in meinem Yoga-Unterricht weiterzugeben.
Seit zwanzig Jahren sind Sie auch als Yoga-Lehrer tätig …
Ja, Yoga ist eine Form von Selbstverantwortlichkeit: Man nimmt die Verantwortung an für das, was der eigene Geist, der eigene Körper braucht. Man braucht neben der alltäglichen Bilderflut eben auch Ruhe und Stille. Wir brauchen das Gleichgewicht. Und eine Form kollektiver Konzentration, wie es sie nur im Theater gibt: Theater ist für mich ein einzigartiges Refugium. Wir verabreden mit manchmal tausend Leuten, gemeinsam zu schweigen und aufmerksam zu sein, was eine ungeheure Kraft hat. Wenn man es dann schafft, ein Mitgefühl zu kreieren, spürt man etwas Wesentliches, das zum Menschsein gehört: Identifikation. Ich bin nicht allein.
Die Premiere von „Verbannte“ wurde auf den 13. Dezember, 19 Uhr, Thalia Gaußstraße verlegt!