Kritik / Schauspiel

Wortmeldungen eines Zimmers

„Insektarium“, Thalia in der Gaußstraße – Garage
Insektarium

Der Mieter (Josef Ostendorf) sinniert über seine Frau (Oda Thormeyer) – unter den Augen des Zimmers (Julian Greis).

Mancher grüßt langjährige Freunde mit „na, du altes Haus“. Aber wer sagt schon zu seinem Haus, seiner Wohnung, seinem Zimmer: „Na, du alter Freund“? Dabei kann so ein Zimmer ein ganz schön empfindsames Wesen sein. Davon weiß Gert Jonke eine Geschichte zu erzählen. Und zwar sehr bizarr. Häufig lustig. Aber auch absurd, irritierend in seiner Verschrobenheit. In jedem Fall aber höchst unterhaltsam.

Das Zimmer (Julian Greis) im kalkfarbenen, fast transparenten Anzug stellt Ansprüche an seine Mieter (Josef Ostendorf und Oda Thormeyer). Es wünscht sich sorgsamen Umgang mit sich, freundliche Worte, Präsenz seiner Bewohner. Die aber sind sehr mit sich beschäftigt. Mit dem Wunsch nach Haustieren etwa („ob sie wohl zu uns eine Gastfreundschaft entwickeln möchten?“). Der darin gipfelt, dass die wunderbar verhuschte Hausfrau ihre Liebe zum Lebewesen auf eine Stubenfliege konzentriert. Die kriegt Unmengen von Salami, während der empfindsame Ehemann, der sich immer wieder gegen den Strich abweisend gebärdet, nicht mal mehr die Küche betreten darf. Ein Duo, dem man an den Lippen hängt. So auch – über lange Strecken – das Zimmer. Es möchte so gern in Kontakt treten zu seinen Bewohnern. Was manchmal zu gelingen scheint, wie in einem transzendenten Dialog. Doch antworten die Bewohner ihm tatsächlich? Oder führen sie nur Selbstgespräche? Auch zu Berührungen kommt es nie. Dafür ist das Zimmer in seinen Bewegungen quer durch die Wohnung frei und muss sich nicht, wie die Menschen, an Türöffnungen halten. Die Vielraumbühne, die eine spartanische Wohnung mit kleinbürgerlichen Versatzstücken spiegelt, haben Lani Tran-Duc und Anika Marquardt wunderbar eingerichtet. Die Wände imaginär, die Spielfläche mit Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer weit und verführerisch. Des Zimmers Welt, die ihm trotzdem zu klein wird. Es möchte aus seiner Haut fahren, das Haus hinter sich lassen …

Regisseurin Maria Ursprung hat Jonkes Text viel Platz gelassen und ihn mit ihren drei großartig aufgelegten Schauspielern schön skurril verstärkt. Jonke, der österreichische Vielautor, der Anfang 2009 knapp 63-jährig starb, weckt mit seinem Text durchaus assoziative Nähe zu Wortdrechslern wie Werner Schwab & Co. Er schafft Wortkonstruktionen, die sofort einleuchten und Universen anstoßen, z. B. wenn der Mieter angesichts einer postalisch geforderten Mieterhöhung etwas von „mannigfaltig beamtshandeln“ murmelt. Sensibel muss Jonke gewesen sein. Seinen Worten und der Inszenierung merkt man es an. Wir liegen selbst unterm Mikroskop, sitzen distanzlos fast im Bühnenbild und können doch hier über unser eigenes mühevolles, tägliches Krabbeln  sehr vergnügt schmunzeln.

Text: Oliver Törner
Foto: Fabian Hammerl

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