Apropos ... / Kolumne

Kurr knurrt

Der Fall Chodorkowski

Dieses Mal ist – erst zum zweiten Mal, seit es GODOT gibt – von einem Filmtheater die Rede, weil das Thema mindestens ebenso wichtig ist wie die früher beschriebene, undelikate Live-Übertragung einer Wagner-Oper aus New York in einem Hamburger Kino.

Diesmal wird also Polittheater beknurrt. Anhand eines bereits 2003 gedrehten Filmes, der jetzt aktualisiert wurde und bewusst lebenden Menschen in aller Welt gezeigt werden sollte. Die Rede ist von Cyril Tuschis halbdokumentarischem Meisterwerk „Der Fall Chodorkowski“, der der Frage nachgeht: Wie konnte aus dem ehemals reichsten russischen Oligarchen nun Russlands berühmtester Häftling werden? Für die einen ist er ein charismatischer Hoffnungsträger für eine ferne Zukunft, für die anderen ein Landesverräter, dessen Geschichte in einer den Atem raubenden Mixtur aus Comic und Dokumentation berichtet wird.

Gerade in diesen Tagen, in der ein anderer, noch auf freiem Fuß lebender Oligarch, Michael Prochorow, überraschend seine Gegenkandidatur zu Putin bei den Präsidentschaftswahlen in dem soeben begonnenen Jahr 2012 angekündigt, sollte man annehmen, dass zumindest in einer weltoffenen Stadt wie Hamburg die Besucher zahlreiche Filmtheater stürmen, um dieses wichtige, unter schwierigsten Umständen entstandene Meisterwerk zu sehen.

Knurrend muss leider festgestellt werden, dass das Gegenteil der Fall ist: Der Film wird – fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit – in dem kleinen, im Oktober des Jahres 2011 erst wiedereröffneten Studio-Theater an der Bernstorffstrasse gezeigt mit kürzlich in einer Abendvorstellung gezählten acht Zuschauern!

Bitteres Fazit: Der Stadtbewohner an den Gestaden der Elbe, von den antiken Griechen bereits „zoon politicon“ (politisches Tier) genannt, bevorzugte im Dezember andere Beschäftigungen, während im nach wie vor diktatorisch regierten Russland eine der schillerndsten Figuren nach Gorbatschow von einem Richter für weitere sechs Jahre in die Einzelzelle eines sibirischen Arbeitslagers geschickt wird.

Text: Hans-Peter Kurr

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