Text: Sören Ingwersen | Foto: Jörg Landsberg
Wenn ein Riesenkater im Tüllrock, ein kopfloser Conférencier, der Teufel und Pontius Pilatus gemeinsam auf der Opernbühne stehen, gibt es Erklärungsbedarf. „Der Meister und Margarita“ heißt das Werk aus der Feder des Kölner Komponisten York Höller nach dem gleichnamigen Roman des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow. Und wie im Roman sind auch in der Oper wahrhaft teuflische Kräfte am Werk.
Hatte Bulgakow sein 800 Seiten starkes Werk als Satire auf die harten Bedingungen künstlerischer Betätigung zu Zeiten Stalins angelegt, erhebt Regisseur Jochen Biganzoli den Stoff – ganz im Sinne des Komponisten – zur allgemeingültigen Parabel. Von regimetreuen Handlangern ins Irrenhaus abgeschoben, weil sein Roman über Pontius Pilatus dem staatlich verordneten Atheismus zuwiderläuft, hat der „Meister“ (auch baritonal meisterhaft: Dietrich Henschel) seinen wahren Namen abgelegt. Soweit die Ausgangssituation dieses auch musikalisch vielschichtigen Werks, das Bühnenbildner Johannes Leiacker in einen von Leuchtstoffröhren gesäumten weißen Raum verlegt.
Für Überraschung sorgt das plötzliche Erscheinen eines mysteriösen Fremden: Ein Herr im weißen Anzug, der sich Voland und „schwarzer Magier“ nennt, eigentlich aber der Satan in personam ist. Voland verwirrt den Lyriker Besdomny mit seinen Teufeleien so sehr, dass dieser ins Irrenhaus eingeliefert wird, wo er sich mit dem eingangs erwähnten Meister verbündet. Auch das Publikum scheint verwirrt, als mit einem Mal das Saallicht angeht und Schmidt-Theater-Chef Corny Littmann als Conférencier den Zauberkünstler Voland ankündigt.
Für eine Viertelstunde verwandelt sich der Opernsaal in ein Varietétheater. Einige Darsteller haben sich unters Publikum gemischt und zeigen überrascht, was Voland ihnen alles in die Taschen zaubert. Als dann auch noch Geldscheine auf die Besucher herabschneien und der Conférencier skeptisch konstatiert „In Hamburg regnet das Geld nicht von oben. In Hamburg sitzt die Kohle im Parkett!“, wird es sogar dem Teufel zu bunt. Kurzerhand reißt sein Gehilfe, der Kater Behemoth, dem aufmüpfigen Ansager dem Kopf ab. Nicht allen Opernbesuchern spricht diese Form des Humors aus dem Herzen: Einige verabschieden sich mit einem „Buh“ in die Pause, mehrere kommen danach nicht wieder – und verpassen den besten Teil der Aufführung.
Durften wir bisher schon den hervorragenden Bass-Bariton Derek Welton bestaunen, mit dem er seinem Teufel ein gar nicht unsympathisches Charisma verleiht, einen tenoral gefestigten Chris Lysack, der als Lyriker Besdomny von Beelzebub kräftig genasführt wird, und den wunderbar strahlenden Countertenor von Andrew Watts in der Rolle des Katers, so wird nun die titelgebende Margarita handlungsführend. Sie verbündet sich mit dem Teufel, um ihren geliebten Meister aus der Irrenanstalt zu befreien und findet in der Mezzosopranistin Cristina Damian eine in jeder Hinsicht ausdrucksstarke Darstellerin.
In einer Weiterentwicklung der seriellen Kompositionstechnik bereichert Höller den Orchesterklang mit elektrisch verstärkten Instrumenten und Tonbandeinspielungen. Mittels elektronischer Gongschläge und subtil eingesetztem Surren und Flirren formt sich ein räumlich veränderbarer Gesamtklang, der einen wirkungsvollen Kontrapunkt zu den Sängerstimmen bildet und mit seiner vielfältigen Ausgestaltung immer wieder überrascht. In einem illustren Satans-Ball mischt dann nicht nur der Komponist, sondern auch Kostümbildnerin Heike Neugebauer lustvoll die Stilepochen. Hinrichtungen im Hintergrund verdeutlichen, dass Karneval und Schabernack vor einer ernsten Folie stattfinden.
„Der Meister und Margarita“ ist ein Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper, wurde aber aus personellen Gründen 1989 in Paris uraufgeführt. Dass das Werk nach einer weiteren Aufführung in Köln nun nach 22 Jahren erstmals wieder auf der Bühne zu erleben ist, liegt vor allem an seiner musikalischen Komplexität und den damit verbundenen hohen Anforderungen an alle Beteiligten. Diesen Kraftakt bewältigen die Philharmoniker unter der Leitung von Marcus Bosch bravourös. Gleiches gilt für die Sängerinnen und Sänger. Dass Jochen Biganzoli mit seiner ersten, klug ausdeutenden Inszenierung an der Staatsoper Hamburg einen vorbildlichen Einstand gegeben hat, belegte auch der einhellig begeisterte Schlussapplaus.
Sa. 21.9., Do. 26.9., Sa. 28.9. und Fr. 4.10, jeweils 19.30 Uhr, Staatsoper Hamburg
Karten unter Tel. 356868