Text: Dagmar Ellen Fischer / Foto: Felix Broede
„Wie klingt Hamburg?“ Diese Frage stellte sich Kent Nagano in den vergangenen zwei Jahren immer wieder, in Vorbereitung auf die neue Aufgabe als Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper. Diese Position wird für den Star-Dirigenten wieder eingeführt; seine Vorgängerin Simone Young hatte sie und die Rolle der Intendantin während der vergangenen zehn Jahre in Personalunion inne. Intendant wird künftig der Schweizer Geoerges Delnon, der aus Basel nach Hamburg wechselt. „Wir haben hier etwas Einzigartiges in unserer globalisierten Welt“, so Nagano über die Hansestadt bei seinem Antritt am Donnerstag. Deren besonderer musikalischer Tradition will er gerecht werden, mit Referenzen an Telemann, Mahler, Brahms … Doch auch Stoffe von heute will er aufgreifen, denn kaum etwas stört ihn mehr als das Gerede vom elitären Elfenbeinturm der klassischen Musik.
Seine Wurzeln: Naganos Großeltern wanderten aus Japan in die USA aus und betrieben eine Farm in Kalifornien; Kent kam am 22. November 1951 in Berkeley als Sohn eines Architekten und Mathematikers und einer Pianistin zur Welt. Er ist sicher, dass ihn Musik schon im Mutterleib prägte.
Das Wunderkind: Seine Mutter war es auch, die ihn und seine Geschwister früh mit sanfter Gewalt zum Klavier spielen brachte. Im Alter von acht Jahren leitete der kleine Kent den Kirchenchor seiner Heimatstadt.
Der Naturbursche: Kent Nagano wuchs im Norden Kaliforniens auf, dort gab es weder Fernsehen noch Kinos. Stattdessen entdeckte der Junge seine Leidenschaft fürs Surfen. Mehr als einmal war er in Lebensgefahr, durch Haie oder gefährliche Strömungen. Jede Welle habe ihre eigene Persönlichkeit, so Nagano, und bis heute lockt ihn San Francisco und das Wellenreiten – um vier Uhr morgens.
Seine Familie: Kent Nagano ist seit 1991 mit der japanischen Pianistin Mari Kodama verheiratet; die 1998 geborene Tochter Karin Kei tritt in die Fußstapfen ihrer Mutter.
Die Ausbildung: Er studierte Musik und Soziologie in Santa Cruz und San Francisco. Später wurde der (1992 verstorbene) französische Komponist Olivier Messiaen Lehrer und Mentor.
Der Erfolg: Ab 1984 leitete er Opernhäuser und Orchester zum Beispiel in Berkeley, Boston, Berlin, Manchester, Los Angeles, Lyon und Montreal – mitunter parallel und zeitgleich. Von 2006 bis 2013 war er Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper in München; diese Position verließ er wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Intendanten Nikolaus Bachler, der als extrem schwierig gilt. Das Orchester dort hat indes die besseren Musiker.
Ein Karrieresprung: Hamburg lockt den Dirigenten nicht nur mit der Generalmusikdirektion der Staatsoper (sein Vertrag ist auf fünf Jahre befristet), sondern auch mit dem Posten des Chefdirigenten der Elbphilharmonie. Zusätzlich wird er weiterhin als Chefdirigent des Symphonieorchesters in Montreal sowie als Erster Gastdirigent in Göteborg tätig sein – in Hamburg ist er laut Vertrag (nur) ein knappes halbes Jahr pro Spielzeit anwesend.
Der Staatsopernstart: Gleich drei Uraufführungen stehen in der ersten Saison auf dem Programm. „Stilles Meer“ vom zeitgenössischen japanischen Komponisten Toshio Hosokawa kreist um die Katastrophe von Fukushima; „Weine nicht, singe“ und „Minibar“ werden in der Opera stabile uraufgeführt, die künftig mehr einbezogen werden soll.
Die Veränderungen: Andernorts längst üblich, werden nun auch in Hamburg Regisseure, die man vom Schauspiel kennt, Musiktheater inszenieren: Jette Steckel und Michael Thalheimer. Letztgenannter setzt die große Oper „Les Troyens“ von Hector Berlioz zur Eröffnung am 19.9. in Szene – ein Flüchtlingsthema, das aktuell ist und sichtbar für die Stadt auf eine Großleinwand am Jungfernstieg übertragen wird. Neu ist auch ein Festival in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut, das Musik und Wissenschaft zusammen bringen will: Wie und warum berührt Musik die Menschen überhaupt? Das diskutierte der Dirigent im Vorfeld schon mit Helmut Schmidt!
Der Kollege: Es kommt zu einer Zusammenarbeit mit John Neumeier. Kent Nagano übernimmt die musikalische Leitung des Balletts „Turangalîla“, das im Juli 2016 uraufgeführt wird; da die Rechte an der vorgesehenen Musik von Olivier Messiaen zunächst nicht zu erwerben waren, setzte sich Kent Nagano dafür ein und bekam die Erlaubnis. Zwei Amerikaner in Hamburg – doppeltes Glück für die Stadt!
Der Vorverkauf für die nächste Spielzeit beginnt am 18. Mai,
Tel. 35 68 68 oder ticket@staatsoper-hamburg.de