Highlight / Kritik / Schauspiel

Auf hohem Niveau

Festival "Körber Studio Junge Regie", Thalia in der Gaußstraße
Schwarze Jungfrauen

Das Sieger­stück „Schwarze Jung­frauen“ in der Regie von Malte C. Lachmann

Wo man auch hinhörte – bei den Pausen­un­ter­hal­tun­gen, den Publi­kums­ge­sprä­chen, der Jury-Diskus­sion – über­all war von dem außer­ge­wöhn­lich hohem Niveau der dies­jäh­ri­gen elf Regie­ar­bei­ten die Rede, die zum Festi­val „Körber Studio Junge Regie“ von den Hoch­schu­len in die Hambur­ger Gauß­straße geschickt wurden. Und es stimmte: Die Speku­la­tio­nen über ein mögli­ches Sieger­stück fielen schwer, weil alle etwas zu bieten hatten, das von der Beson­der­heit des Thea­ter­er­leb­nis­ses erzählte.

„Yes!“, reckt Nora ihren Arm hoch. Sie hat es geschafft. Durch den Aufstieg ihres Mannes Thor­vald ist auch sie hoch hinaus gekom­men. Inmit­ten ihrer Kris­tall­glä­ser steht sie auf der langen Tafel und freut sich daran, ihre Tage als einzige lange Party zu sehen, auf der sie rose­far­be­nen Cham­pa­gner trin­ken darf. Passend zu ihrem kurzen rosa Ballett­kleid­chen, in dem sie für ihren Mann als „sein Sing­vö­gel­chen“ posie­ren darf.

Nora hat sich aus Kalkül in eine fremd­be­stimmte Rolle bege­ben. Zunächst spielt sie sie gut. Doch schnell bekommt ihre Welt Risse und die ersten Gläser gehen zu Bruch. Immer enger span­nen sich die Schlin­gen des gesell­schaft­li­chen Netzes um die Frau auf dem Tisch. Zum Schluss wird sie gejagt von den Erwar­tun­gen, Anfor­de­run­gen, Vorwür­fen, Wunsch­vor­stel­lun­gen der ande­ren. Regis­seu­rin Julia Wissert hat die Ökono­mie der Bezie­hun­gen in Ibsens Nora genau heraus­ge­ar­bei­tet. Sie zeigt mit ihren hervor­ra­gen­den Schau­spie­lern, wie eine Frau in der Aufrecht­erhal­tung der eige­nen Fassade ihr Selbst verliert und zerbricht. Eine hoch­kon­zen­trierte, genau fokus­sie­rende, span­nende Inter­pre­ta­tion des Nora-Stof­fes, mit der Wissert ihr Regie­ta­lent beweist.

Der erst 23-jährige Malte Lach­mann von der Ever­ding-Thea­ter­aka­de­mie aus München wagt viel. Zaimog­lus und Senkels drama­ti­sierte, wütende Mono­loge deut­scher Musli­mas Schwarze Jung­frauen über­spitzt er mit seiner Form der Musi­cal-Revue geschickt und gekonnt. Er führt damit die Inten­tion der Autoren, mit klischier­ten Vorstel­lun­gen zu provo­zie­ren, konse­quent fort. Mit Glit­zer-Make-Up und in Show­kos­tü­men kommen die Sprecher/innen (drei Frauen und zwei Männer!) als Revue­girls auf die Bühne. Stän­dig unter­legt vom Pianis­ten-Musik­tep­pich schleu­dern sie dem „Eurozwergen“-Publikum ihre derben Wahr­hei­ten an den Kopf. So wird mit der Form der zusätz­li­chen Stili­sie­rung ein Zugang zum Text geschaf­fen, der die Bebil­de­rung gängi­ger Klischees von türki­schen Kopf­tuch­mäd­chen über­flüs­sig macht. Es kommen Frauen zu Wort, die auf ihr Recht der Ausle­bung ihres Glau­ben und ihrer Sexua­li­tät bestehen und die anders als ihr männ­li­ches Gegen­über darin keinen Gegen­satz sehen. Ballett- und Gesangs­ein­la­gen ironi­sie­ren die Texte, ohne ihre Botschaf­ten zu verwäs­sern. Ein Unter­fan­gen, das von jedem zuvor Befrag­ten sicher als undurch­führ­bar einge­schätzt worden wäre, hat Lach­mann zu einem durch und durch stim­mi­gen Erleb­nis werden lassen.

Die Titel der Love­songs rauschen im Sekun­den­takt über die Lein­wand. Die Liebes­vor­stel­lun­gen sind allge­gen­wär­tig und prägend. Auch der Aufstei­ger Clavigo hat sich von ihnen beein­flus­sen lassen. Doch ange­lei­tet durch seinen Freund Carlos bemüht er sich, jetzt nur an seine Karriere zu denken. Eifrig nickt sein Kopf, während Carlos ihm seine rosi­gen Zukunfts­aus­sich­ten ohne seine nicht mehr stan­des­ge­mäße, abge­legte Braut Marie ausmalt. Doch dieser Mann ist keines­wegs so cool und entschie­den, wie er in seinem Joe-Jack­son-Auftritt mit „I’m the Man“ zu schei­nen versucht. Stän­dig schwankt er zwischen Entschlos­sen­heit, Sehn­sucht, Reue, Ehrgeiz und Hoff­nung auf Versöhnung.

Weiß geschminkt sind alle im Spiel der Fassa­den am Hofe. Wie Clowns spie­len sie eine Rolle. Regis­seu­rin Lilja Rupp­recht benutzt in ihrer Insze­nie­rung viele verschie­dene Stil­ele­mente. Die Unent­schie­den­heit ihrer Titel­fi­gur hat sie auch zur Haltung ihrer Insze­nie­rung erklärt. Die Comme­dia dell‘arte schim­mert ebenso durch wie Slap­stick, Panto­mime, Tanz, Clow­ne­rie, Comedy und klas­si­sches Sprech­thea­ter. Sie lotet mit spie­le­ri­scher Leich­tig­keit die viel­schich­ti­gen Aspekte eines wankel­mü­ti­gen, sehr modern wirken­den Menschen aus, dem so viele Wege offen stehen, dass ihm jede Entschei­dung schwer fällt.

Weni­ger Entschei­dungs­mög­lich­kei­ten haben Bahir und Omar. Für ihre Arbeit hat Ana Zirner von der Folk­wang­schule aus Essen im Iran zwei Wochen lang Inter­views geführt und sie zu einer Geschichte konzentriert.

Bahir und Omar sind Geschwis­ter, die sich gut verste­hen. Eine alltäg­li­che Geschichte, die zunächst in jedem Land statt­fin­den könnte. Doch sie wach­sen in einem Land auf, in dem die freie Meinungs­äu­ße­rung und die freie Ausübung der Reli­gion verbo­ten sind. Sie erle­ben die Wahlen 2009 und die anschlie­ßen­den Demons­tra­tio­nen. Omar wird verhaf­tet. 31 Tage wird er im Gefäng­nis verbrin­gen. Berich­ten die beiden Schau­spie­ler auf leerer Bühne zunächst in der neutra­len drit­ten Person in großer Sach­lich­keit von den beiden Geschwis­tern, werden Bahir und Omar ab diesem Zeit­punkt zu ihrem Ich. Ihr Ton verän­dert sich. Wut, Hoff­nung, Entset­zen, Angst und Sehn­sucht mischen sich in ihre Stim­men. Zum Schluss stehen sie beide auf dem ausge­roll­ten Teppich und schreien sich ihre unter­schied­li­chen Lebens­po­si­tio­nen entge­gen. Während die Revo­lu­ti­ons­bil­der des Jahres 2011 über die rück­wär­tige Lein­wand laufen, blei­ben die Bilder aus dem Iran schwarz. Nach 2009 sind die Aufstände erstickt.

Ana Zirner hat eine aufwüh­lende Arbeit abge­lie­fert, die gerade durch die sach­li­che Distan­zie­rung betrof­fen macht. Sie lässt dem Zuschauer die Möglich­keit zur eige­nen Posi­tio­nie­rung. Eine in ihrer Schlicht­heit und Konzen­tra­tion höchst beein­dru­ckende Inszenierung!

Die Jury der fünf Thea­ter­fach­leute hatte es 2012 nicht leicht. Dennoch fiel ihr Votum für den ersten Preis einstim­mig aus: Sie vergab ihn an Malte C. Lach­manns Schwarze Jung­frauen. Sie lobten, dass er es gewagt habe, die Form der leich­ten Revue mit den aggres­si­ven, mono­lo­gi­schen Endlos­tex­ten verei­nigt zu haben. Die kontra­punk­ti­schen Parts hätten sich gegen­sei­tig wider Erwar­ten nicht negiert, sondern befruch­tet. Dem Hambur­ger Absol­ven­ten Felix Meyer-Chris­tian wurde von der Jury ein großes Regie­ta­lent beschei­nigt, wenn seine Arbeit „Kohl­haas“ auch als zu ambi­tio­niert ange­se­hen wurde.

Die Mehr­heit der Zuschauer hatte eine andere Lieb­lings­in­sze­nie­rung: Der Publi­kums­preis, der dieses Jahr zum ersten Mal verge­ben wurde, ging an die schlüs­sige, mitrei­ßende Nora-Insze­nie­rung von Julia Wissert.

Text: Birgit Schmalmack
Foto: Krafft Angerer

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