Highlight / Kritik / Schauspiel

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch

Monsun Theater
Aufzeichnungen aus dem Kellerloch

Psycho­lo­gi­sche Charak­ter­stu­die à la Dosto­jew­ski: Stefan Schieß­le­der und Irene Benedict

Text: Sören Ingwersen | Foto: monsun.theater

Eigent­lich könnte man Mitleid haben mit dem Mann, der dort mit ange­zo­ge­nen Beinen auf dem Tritt­ho­cker sitzt. Ein an der Welt Leiden­der, wie er im Buche steht. Nament­lich in der Erzäh­lung „Aufzeich­nun­gen aus dem Keller­loch“ von Fjodor Dosto­jew­ski, die Regis­seur Clemens Mädge in einer eige­nen Bear­bei­tung mit zwei Schau­spie­lern für das Monsun Thea­ter auf die Bühne gebracht hat. Mitleid? Die Gefühle, die man dieser Figur entge­gen­bringt, sind zwie­späl­tig wie die des Mannes selbst. Um sich nicht verach­ten zu müssen für sein frühe­res Leben als „bösar­ti­ger Büro­krat“, hat er sich in seine Keller­woh­nung zurück­ge­zo­gen und abge­schirmt von der Außen­welt eine Philo­so­phie zurecht­ge­legt, mit der er auf alle Menschen, die auf der gesell­schaft­li­chen Leiter höher stehen, herab­schauen kann: Abgren­zen will er sich von den „norma­len Menschen“, den „Tat-Menschen“ und vergleicht sich selbst mit einer Maus, die gelähmt von einem Zuviel an Bewusst­sein ihr eige­nes Leiden zum Genuss erklärt – weil es sie zu etwas Beson­de­rem macht.

Stefan Schieß­le­der kehrt die innere Zerris­sen­heit seiner Figur glaub­wür­dig nach außen, wenn er einer­seits wie ein Getrie­be­ner Erklä­rungs­for­meln für seinen armse­li­gen Zustand auf Holz­bret­ter krit­zelt und sich ande­rer­seits mit über­heb­li­chem Selbst­be­zug direkt ans Publi­kum wendet. Im schwar­zen Bühnen­kas­ten wird das Spiel zwischen Selbst­er­he­bung und -ernied­ri­gung, zwischen Hybris und Unter­wür­fig­keit mit fünf Steh­lei­tern auch räum­lich ausba­lan­ciert. Und das sogar im Wort­sinn, wenn Irene Bene­dict als innere Stimme und Alter Ego des Mannes auf Brett, Leiter oder impro­vi­sier­ter Wippe ein körper­li­ches Gegen­ge­wicht zu den philo­so­phi­schen Anma­ßun­gen ihres Keller­be­woh­ners bildet. Anfangs noch eine stumme Figur, ein leben­di­ger Schirm der Begeg­nung des Ichs mit sich selbst, verkör­pert Bene­dict in der zwei­ten Hälfte Menschen, die in der verbit­ter­ten Erin­ne­rung des Mannes aufblit­zen: ehema­lige Freunde, die es beruf­lich zu mehr gebracht haben als er selbst, und ein Freu­den­mäd­chen, dem er erfolg­los seine eigene mora­li­sche Über­le­gen­heit zu demons­trie­ren versucht.

Man muss es Regis­seur Clemens Mädge und seinen Darstel­lern hoch anrech­nen, dass sie die laby­rin­thi­schen Reflek­tion eines über­reiz­ten Außen­sei­ters und dessen kompli­zier­ten Charak­ter gut verständ­lich und glaub­wür­dig in eine Bühnen­spra­che über­set­zen, die ihre Kraft aus Karg­heit, Konzen­tra­tion und bild­lich einpräg­sa­men Konstel­la­tio­nen schöpft. „Ich habe das Äußerste gewagt. Ich bin leben­di­ger als Sie alle zusam­men!“, verab­schie­det sich der Held aus dem Stück. Man quit­tiert diese Selbst­ver­ken­nung mit einem Lachen, obwohl einem eher zum Weinen zumute ist.

Weitere Auffüh­run­gen: 30.11., 1.12., 30.1. u. 31.1., Monsun Thea­ter

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*