Highlight / Kritik / Schauspiel

Avidya – Das Gasthaus der Dunkelheit

Kampnagel
Avidya

Auch die Seele wird beim Bad in der heißen Quelle gereinigt

Text: Adrian Anton / Foto: Shinsuke Sugino

Eine leise und leicht gespenstische Geschichte: „Avidya – Das Gasthaus der Dunkelheit“ vom japanischen Regisseur Kuro Tanino überrascht beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel mit leisen Tönen. Während es beim Sommerfestival ansonsten meistens um plakative Superlative zu gehen scheint, inszeniert Kuro Tanino sein dunkles Gasthaus wie ein stilles Kammerspiel. Bereits der einführende Erzähler aus dem Off überrascht mit poetischen Bildern vom heran nahenden Winter in einem einsamen Tal, Höllental genannt. Auf einer Drehbühne werden die verschiedenen Räume und das Badehaus einer abgelegenen Herberge in den japanischen Bergen auf erstaunlich detaillierte und naturalistische Art gezeigt (Bühne: Kuro Tanino, Michiko Inada). Nicht nur die Bühne erinnert an ein Film-Set: Kuro Tanino, der auch für den Text verantwortlich ist, inszeniert seine Geschichte wie einen stillen Film, der mit bedrückenden Stimmungen spielt.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein kleinwüchsiger Vater kommt mit seinem Sohn in die entlegene Herberge, um dort ein Puppenspiel aufzuführen. Allerdings gibt es keinen Herbergsbesitzer, der sie eingeladen haben könnte. Stattdessen treffen die beiden auf eine Handvoll Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen mehr oder weniger regelmäßig die Herberge bewohnen: Eine alte Frau und ein Blinder, die die heilsamen Quellen nutzen; zwei Geishas, die sich hier von ihren Kunden erholen; ein stummer Bademeister, der das Badehaus am Laufen hält. Jeder Gast der Herberge wirkt auf seine Art gehemmt oder verloren, nur das Bad in den heißen Quellen scheint Erleichterung zu verschaffen.

Der Name der Herberge lautet Avidya, was soviel wie Nichtwissen oder Unwissenheit bedeutet und der Selbsterkenntnis im Weg steht, im Hinduismus als eine der Ursachen menschlichen Leidens bekannt. Hier wird deutlich, dass Regisseur Kuro Tanino zuvor Psychologie studiert und als Psychiater gearbeitet hat. Aber seine Analyse bleibt subtil und ambivalent, ohne moralische oder heilsverkündende Lehren. Für manche Zuschauer anscheinend zu subtil, denn immer wieder verlassen Einzelne die gut gefüllte Halle K 2. Nach dem Stück sagt jemand vor mir beim Hinausgehen: „Das war ja völlig sinnentleert.“ Für mich wieder eine Bestätigung: Die besten Stücke sind meist solche, die die Zuschauer spalten.

Aufführungen bis 28. August, Internationales Sommerfestival auf Kampnagel

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