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Beifall für Elternabend

„Frau Müller muss weg“, Winterhuder Fährhaus
Frau Müller muss weg

Für die Eltern ist klar: Frau Müller muss weg!

Jessica, die Elternsprecherin, bringt es auf den Punkt und warnt vor Zweifeln oder Kompromisslösungen: Frau Müller muss weg! Zwar haben sich nur fünf Mütter und Väter der Klasse 4b zum Gespräch mit Frau Müller, der Lehrerin ihres Nachwuchses, zum abendlichen Gespräch im Klassenraum eingefunden, der noch mit den Ergebnissen des letzten Herbstprojektes geschmückt ist, doch die Entscheidung, so die Elternvertreterin, sei mit großer Mehrheit gefällt worden. Es gehe nur noch darum, sie Frau Müller mitzuteilen. Eine halbe Stunde – länger werde das Treffen nicht dauern. Jessica, Typ resolute, modebewusste Businessfrau, kennt ihre wankelmütigen Mitstreiterinnen: Marina mit ihren Gefühlsausbrüchen oder Katja, die sich nur aus Solidarität an der Kampagne gegen Frau Müller beteiligt hat und ihr nun für die vergangenen drei Jahre Unterricht einen Blumenstrauß überreichen möchte („Das tut man doch so“). Katja ist die einzige, deren Kind immer gute Noten nach Hause bringt. Die anderen an diesem Abend versammelten Mütter und Väter müssen um die Gymnasialempfehlung für ihre Töchter und Söhne bangen, denn Frau Müller wird ihnen wohl keine guten Noten geben.

Wie boxe ich mein Kind zur Karriere? Nur diese Frage stellen sich die Eltern in Lutz Hübners, dem Schulalltag genau abgeschauter Komödie „Frau Müller muss weg“. Der Elternabend wird zum Schlachtfeld um die materielle Zukunft der Kinder. Frau Müller, die engagierte, prinzipientreue Pädagogin steht da auf verlorenem Posten, denn sie hat ganz andere Ziele als die hier versammelten Eltern. In Gesprächsrunden mit den Kindern ihrer Klasse versucht sie herauszubekommen, warum die so unruhig, einige sogar verhaltensauffällig sind. Als „Herumspionieren“ werten die Mütter und Väter diese Gespräche ab. Dabei haben sie allen Grund, sich an die eigene Nase zu fassen, wie sich im Lauf der von Kai-Uwe Holsten ganz auf die Figuren konzentrierten Inszenierung im naturalistischen Klassenraum-Bühnenbild herausstellt. Lukas, der Sohn von Marina und Patrick, prügelt Fritz, den Einser-Filius von Katja. Und Jeanette, Tochter von Wolf, sitzt mit der von ihr bewunderten Laura, Tochter von Jessica, vorm Computer statt Hausaufgaben zu machen. Die viel beschäftigte Jessica findet das in Ordnung. Ihre Tochter nervt sie nur. Der arbeitslose, alle und alles bestimmen wollende Wolf überfordert seine Tochter dagegen mit viel zu viel Lernstoff. Im Streit um die Gründe des Versagens ihrer Kinder greifen die Erziehungsberechtigten geradezu lustvoll zu stereotypen Vorurteilen: Ossis, Arbeitslose und Hausfrauen haben keine Ahnung. Nur die beiden Vollbeschäftigten glauben zu wissen, was die Kinder wirklich brauchen: Leistungsbewusstsein und Durchsetzungsvermögen. Da sind viele Klischees im Spiel, doch Hübner hat Typen und Situationen zu einem stimmigen Ganzen verbunden. Das Premierenpublikum bestätigte das gute Ergebnis mit häufigem spontanen Zuspruch nach dem Motto: „Genau so ist es!“

Und Hübners Elternabend-Komödie hat so manche spannende Wendung auf Lager. Frau Müller ist nicht gewillt, ihre Entmachtung klaglos hinzunehmen, verteidigt sich, emotional getroffen und aufgewühlt (hervorragend schlicht und emotional engagiert: Cornelia Schirmer), wird dabei wütend auf die Eltern, wirft ihnen Versagen vor. Als sie sich ins Lehrerzimmer zurückzieht, machen die Eltern eine erstaunliche Entdeckung: Ihre Sprösslinge werden viel bessere Noten bekommen als vermutet, wie ein Blick in die zurückgelassene Tasche der Klassenlehrerin verrät. Flugs bläst Jessica zum Strategiewechsel: Frau Müller muss bleiben! Nur mit ihr kommt der missratene Nachwuchs doch noch aufs Gymnasium. Pech nur, dass Frau Müller versehentlich die Noten vom letzten Halbjahr eingepackt hatte.

Holstens Inszenierung gelingt vor allem wegen des guten Ensembles. Marion Elskis und Christian Onciu sind ebenso überzeugend als zerstrittenes Ehepaar wie Sina-Maria Gerhardt als coole Elternvertreterin, Lisa Grosche als besonnene Mutter und Jens Reichardt als cholerisch-verzweifelter Arbeitsloser.

Text: Christian Hanke
Foto: Oliver Fantitsch

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