Wieder mal lockt der „Dancekiosk“ zeitgenössische Tänzer aus vielen Ländern nach Hamburg ins Sprechwerk. Erstmals geht der Dancekiosk eine Kooperation mit dem Gängeviertel und Kino e. V. ein und zeigt dort im Rahmen des Festivals Tanz- und Performancefilme. Auch ein Swing-Workshop wird das Programm um eine neue Komponente neben den bewährten Trainingsräumen des K3 bereichern.
Der erste Tanzabend lieferte mit seiner Bandbreite der Arbeiten eine gute Einstimmung. Regina Rossi erkundet ohne falsche Scheu in „Tchi-Kudum“ ihre eigenen Bezüge als Brasilianerin zum Samba und zum Karneval. Doch sie blieb dabei nicht stehen: Ihre mutige Tanzarbeit wurde zur kritischen Analyse des südamerikanischen Frauenbildes und -körpers. Die eindrucksvollen Kostüme waren ein wichtiger Bestandteil ihrer Performance. Ohne den richtigen Rhythmus bewegt sie sich noch wie unter einer Topfglocke, aus der nur ihre Arme und Beine herausragen. Mit dem Karneval kommt die Veränderung. Der Samba bringt Rhythmus in ihr Leben. Ihn wird sie nicht mehr ablegen. Im ständigen Sambaschritt schlüpft sie unter einen überdimensionalen Reifrock, von dem nur noch das Gerüst übrig geblieben ist, und wirbelt ihre heiteren Runden. Sie wickelt sich ein Kostüm aus einem Galgenstrick, so dass die Enden wie Kuhglocken vor ihren Brüsten hängen. Zum Schluss stülpt sie sich eine Hexenmähne aus Hanf über den Kopf. Die goldenen Pumps bleiben am Bühnenrand stehen. In schlichten Hauspantoffeln oder barfuß tanzt sie den Samba. Hat sie sich zuerst der straffenden Miederhose entledigt, so streift sie zum Schluss auch noch den Slip ab. Selbst die Hausfrau mit Cellulitis ist zum Samba und zum sich entblößenden Frausein verpflichtet.
Julia Lüthje zeigt „Impressionen“ von einer Reise nach Marokko. Auf ihr weißes Kleid werden Bilder der Reise projiziert. Während sie immer mehr in den arabischen Tanz zur marokkanischen Musik eintaucht, verschmelzen auf ihrem Körper die Bilder der Araber mit ihrem eigenen. Eine interessante Idee zu einer kleinen Tanzarbeit.
„What happens with me“ handelt ebenfalls von einer künstlerischen Begegnung, diesmal zwischen zwei unterschiedlichen Frauen. Während der Bassist und der Gitarrist an ihren Instrumenten improvisieren, regen sich die kleine, zarte Naoko Hardenack und die große, kräftige Jasmin Peters zu immer neuen Bewegungen an. Sie stupsen sich an, sie ziehen sich am Kragen nach oben, sie wälzen sich auf dem Boden, sie tanzen vergnügt Swing und sie wiegen sich beschaulich Seite an Seite. Die wesentlich stärkere tänzerische Ausstrahlung von Naoko lässt aber leider nur selten das Gefühl von gleichgewichtiger Anregung aufkommen.
In „2012: Liebe“ begeben sich drei Frauen auf die Suche nach der Wärme. In den Zeiten der Individualisierung und des Einzelkämpfertums suchen sie nach dem offenen Raum für die Gemeinsamkeiten. Vorsichtig beobachten sie sich gegenseitig und lassen sich Zeit beim Erspüren des Gegenübers. Lange Zeit können auch die Zuschauer nur erahnen, wohin die Findungsreise der Frauen gehen soll. Sind sie auf einem Esoterikseminar gelandet? Zum Schluss sitzen die Performerinnen mitten unter ihnen und lehnen sich mal an die eine, mal an die andere wärmende Schulter.
Maike Mohr ist eine gute Bekannte im „Dancekiosk“. Dieses Mal präsentiert sie kein Solo, sondern eine Zusammenarbeit mit drei weiteren Künstlern ganz unterschiedlicher Couleur: Ein Breakdancer, ein Saxophonist und ein Percussionist sind mit von der Partie. Um die gegenseitigen künstlerischen Anregungen soll es gehen. Viel Raum wird der Einzeldarstellung gegeben. Das wirkt zum Teil zu beliebig, um wirklich interessant zu sein. Erst in den zwei Parts, in denen die beiden Tänzer zu den Klängen der beiden Musiker gemeinsam tanzen, zeigen sie, wie wahre Anregung zu einem neuen schöneren intensiveren Ganzen führen kann.
Gastproduktionen aus der Türkei, Polen, Marokko, Dänemark, den Niederlanden und Deutschland stehen neben den Kurzfilmen bis einschließlich 7. Juli nochan. Der Weg ins Sprechwerk oder Richtung Gängeviertel dürfte sich lohnen.
Text: Birgit Schmalmack
Foto: Christian Scholz