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Die mit dem Kopf tanzt

"Shadowland", Kampnagel
Shadowland

Menschenkörper und Hundeköpfe – der Ellbogen wird Schnauze, die Hand zum Ohr.

Franz Kafka hat es vor Jahrzehnten schon einmal schriftlich fantasiert: „Die Verwandlung“ eines Menschen in ein Tier, unerwartet und unwiderruflich. Die amerikanische Tanzcompagnie „Pilobolus“ entwirft ein nicht so tragisches, dafür (alp)traumhaftes Szenario in „Shadowland“: Ein Mädchen trägt auf seinem Menschenkörper plötzlich einen Hundekopf; diese Mutation macht sie zur Außenseiterin, schenkt ihr – und dem Publikum – aber eben auch eine neue Sicht auf scheinbar Bekanntes. Das Hundemädchen im Schattenland begeisterte die Zuschauer auf Kampnagel, hier startete die sensationelle Tanztruppe am 22. Dezember ihre Deutschland-Tour vor ausverkaufter Halle.

Die Story ist schnell erzählt: Auf dem Weg vom Kind zur Frau bleibt einem jungen Mädchen generationstypischer Stress mit den Eltern nicht erspart, ihre Versuche zur Identitätsfindung stoßen auf wenig Verständnis. Und so wandert denn ein Gefühl der Andersartigkeit aus der Realität ins Unbewusste, wo es sich zur gut sichtbaren Abartigkeit steigert, einem Hundekopf – als „Dog-Girl“ wird sie zunächst nur ausgelacht, dann übel behandelt, schließlich boshaft benutzt und in einer Freak-Show ausgestellt. Sie flieht und trifft einen Leidensgenossen, der indes unter seiner Besonderheit gar nicht zu leiden scheint, sondern sie als eigene Qualität lebt …

Seit 40 Jahren steht „Pilobolus“ für im wahrsten Sinn des Wortes verrückte Verwandlungen des menschlichen Körpers, der mutiert mal zu Buchstaben oder Architektur, verwandelt sich in Tiere oder fantastische Wesen. In „Shadowland“ kombinieren die neun großartigen Tänzer ihre fantasievolle Körperkunst mit jener des Schattenspiels: Gestapelt und ineinander verhakt werden mehrere Tänzerkörper zum bühnenhohen Kopf oder zum trompetenden Elefanten, selbst ganze Landschaften ergeben sich aus der Silhouette ihrer Schatten. Und auch die zentrale Figur, „Dog-Girl“ Molly Gawler, spielt mit der Wahrnehmung im Schattenriss: Sie legt ihren Arm um den eigenen Kopf, so dass ihr Ellbogen zur Hundeschnauze und ihre Hand zum flatternden Ohr wird. So entstehen verblüffende und anrührende Bilder, die das Auge perfekt täuschen, wenn man sich einlässt. Doch wird den Zuschauern „Shadowland“ keineswegs bruchlos über eineinhalb Stunden als Fantasiewelt verkauft, die schattenbildenden Transparente und durchlässigen Projektionsflächen werden immer wieder zur Seite geschoben, damit der Blick auf pure Körper und das „Making Of“ freigegeben. Der Effekt: Nur umso lieber taucht das Publikum erneut in die folgenden, farbigen Illusionen ein – eine magische Mischung aus Fake und Fantasy.

Text: Dagmar Ellen Fischer
Foto: John Kane

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