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Die Welle

Ernst Deutsch Theater
Die Welle

Robert (Rune Jürgen­sen) mausert sich zum Anfüh­rer einer freu­dig diszi­pli­nier­ten Schülerschaft

Text: Christian Hanke / Foto: Oliver Fantitsch

So leicht geht’s. Lehrer Ben Ross kann es kaum glau­ben. Eben flegel­ten sich seine Schü­le­rin­nen und Schü­ler noch locker-lässig auf Stüh­len und TIschen, mach­ten im Unter­richt, was sie woll­ten. Und plötz­lich stehen sie stramm, heben die Hand zum Wellen­gruß, folgen begeis­tert den Worten des Lehrers. Von einem scho­ckie­ren­den Expe­ri­ment erzählt das Stück „Die Welle“ nach dem Roman von Morton Rhue und der Kurz­ge­schichte von Ron Jones – ein Lehr­stück über die Verführ­bar­keit von Jugend­li­chen. Wolf-Diet­rich Spren­ger hat es in einer neuen Bühnen­fas­sung im Ernst- Deutsch-Thea­ter insze­niert. Zugrunde liegt ein Expe­ri­ment des High-School-Lehrers Ron Jones aus dem Jahr 1967. Seine Schü­ler soll­ten am eige­nen Leib erfah­ren, warum sich die Deut­schen von Hitler hatten verfüh­ren lassen. Jones begann damit, seine Schü­ler zu komman­die­ren und zu diszi­pli­nie­ren. Er führte ein an mili­tä­ri­schem Drill orien­tier­tes Verhal­ten ein – und hatte zur eige­nen Verblüf­fung Erfolg damit. Die Schü­ler verwei­ger­ten sich nicht, sondern mach­ten begeis­tert mit. Und noch etwas über­raschte den Lehrer: die Schü­ler arbei­te­ten wesent­lich konzen­trier­ter und produk­ti­ver im Unter­richt mit. Sie vertrau­ten ihm blind. Er ging noch weiter, schuf ein Symbol und eine Fahne, erhob das Gemein­schafts­ge­fühl der Klasse zur Ideo­lo­gie. Das Symbol, das auch zur Gruß­geste wurde, beschrieb eine Welle.

Spren­ger hat „Die Welle“ in die Gegen­wart verlegt. In der Klasse des Lehrers Ben Ross sitzt ein russisch­stäm­mi­ger Migrant. Ein afri­ka­ni­scher Flücht­ling kommt hinzu. Zu Beginn tanzen die Schü­ler, größ­ten­teils gespielt von Mitglie­dern des Jugend­clubs am Ernst Deutsch Thea­ter, ihrem Softie-Lehrer auf der Nase herum. Doch mit zunächst eher harm­lo­sen Diszi­pli­nie­rungs­maß­nah­men und neuen Ziel­set­zun­gen wie „Stärke durch Diszi­plin“ oder „Stärke durch Gemein­schaft“ verwan­delt Ross die gelang­weil­ten Teenies in einen verschwo­re­nen Haufen, der stramm­steht, sobald der Lehrer erscheint, und begeis­tert mit der Welle grüßt. Nur Emily, die Klas­sen­beste, macht nicht mit, durch­schaut erschro­cken das perfide Spiel – und macht sich dadurch zuneh­mend unbe­liebt. Insbe­son­dere bei Robert, der immer verschla­fen in die Schule kam. Bis er die vermeint­li­che „Sache“ der Welle für sich entdeckt, sich zum über­zeug­ten Anfüh­rer entwi­ckelt, begeis­tert die Fahne schwenkt und seine Mitschü­ler herum­kom­man­diert. Ganz heutig zeigen sich die beson­ders Welle-begeis­ter­ten Schü­ler zuneh­mend im Neonazi-Outfit, pfle­gen einen immer aggres­si­ver werden­den Tonfall, vor allem gegen­über mögli­chen „Verrä­tern“.

Lehrer Ross, zunächst begeis­tert vom geglück­ten Expe­ri­ment und ein wenig auch von seiner neuen „Führer“-Rolle, kommen lang­sam Zwei­fel an der Entwick­lung, die er ausge­löst hat und die sich zu verselb­stän­di­gen droht. Seine Freun­din, Lehre­rin an dersel­ben Schule, verlässt ihn sogar kurz­zei­tig, entsetzt von seinen neuen Unter­richts­me­tho­den. Von Freun­din und Schul­di­rek­tor in die Enge getrie­ben, been­det Ross schließ­lich das Expe­ri­ment, wie auch Lehrer Jones seiner­zeit 1967. Der Schock unter den Schü­lern ist groß, und am Ende will niemand bei der Welle mitge­macht haben.

Spren­gers Umset­zung in die deut­sche Gegen­wart nimmt der Geschichte ein wenig Schärfe und Allge­mein­gül­tig­keit. Die Einfüh­rung des afri­ka­ni­schen Flücht­lings, der minu­ten­lang die Geschichte seiner Flucht erzäh­len darf, wirkt sehr bemüht. Von seiner Wirkung hat das Stück aber nichts verlo­ren. Stark: Jonas Minthe als expe­ri­men­tie­ren­der und zwei­feln­der Lehrer sowie die Anti­po­den der Schü­ler­schaft: Emily Marie Seidel (Emily) und Rune Jürgen­sen (Robert).

Auffüh­run­gen bis 9.7., Ernst Deutsch Theater

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