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Ein Fest der Sinne

„Der Wald der wilden Schweine“, SHMF im Thalia Theater
Im Wald der wilden Schweine

Pantherschädel (Yu Kuizhi) und seine treue Frau (Li Shengsu).

Pantherschädel, Instrukteur der kaiserlichen Armee, rollt wild mit den Augen, der restliche Körper starr wie eine Wachsfigur. Jede noch so kleine Geste hat eine bestimmte Bedeutung in der chinesischen Peking-Oper. Das Schleswig-Holstein Musik Festival hat mit Yu Kuizhi, Yang Chi und Li Shengsu u. a. einige der angesehensten Darsteller dieser rund 200 Jahre alten Theaterform ins Thalia Theater eingeladen.

In „Der Wald der wilden Schweine“ macht sich der lüsterne Lebemann Gao Shide an die Ehefrau von Pantherschädel heran und spinnt eine infame Intrige, um seinen Widersacher loszuwerden. Das Unglück nimmt seinen Lauf, da kann auch der schlagkräftiger Mönch Lu Zhishen, der im wahrsten Sinne des Wortes Bäume ausreißt und sich mit Pantherschädel verbündet, nicht mehr helfen. Um sich vor dem Zugriff Gao Shides zu schützen, stößt Pantherschädels Frau sich das Messer in die Brust.

Trotz dieser tragischen Wendung ist die Geschichte mit vielen komischen Figuren gespickt. Der dreiste Verführer Gao Shide ist im Kreise seiner Gefolgsleute ein Großmaul, entpuppt sich aber allein gelassen als elender Angsthase. Der Mönch Lu Zhishen poltert als eine Art chinesischer Bud Spencer mit weißer Maske und „Mondspaten“ über die Bühne und erledigt alles, was sich ihm in den Weg stellt. Das sind unter anderem die Handlanger des Marshalls Gao Qian, der Vater Gao Shides, die den Auftrag haben, Pantherschädel umzubringen, sich dabei aber ziemlich dämlich anstellen.

Gar nicht sattsehen kann man sich an der minutiösen Choreographie dieser hochtypisierten Figuren. Vom Auf- und Abrollen der langen Ärmel bis zum emotionsgeladenen Zittern der Hände oder Kopffedern – nichts ist hier dem Zufall überlassen. Die Darsteller sind gleichermaßen Meister des Gesangs, der tänzerischen Pantomime, des Sprechvortrags und der Kampfkunst. Eine Vorwärtsrolle im freien Fall mit gefesselten Händen gehört hier noch zu den einfacheren Übungen.

Begleitet werden die aufwändig kostümierten Darsteller – manche mit einem großen weißen Fleck mitten im Gesicht, was ihren zweifelhaften Charakter andeutet – von sechs Musikern. Vorherrschend sind hier die Schlaginstrumente Becken, Gong, Klappern und Trommeln, deren Einsatz sich exakt an den Bewegungen der Darsteller orientiert. Für die melodischen Teile sind unter anderem die Jinghu (eine zweisaitige Kniegeige), die Yueqin (eine runde Mandoline) und die Sunxian (eine dreisaitige Laute) verantwortlich.

Mögen die Instrumentenklänge und die Artikulationsweise der chinesischen Sänger für westliche Ohren auch ungewohnt sein – die hohe Kunst der China National Peking Opera Company lässt einen dies schnell vergessen. Mit zwei Stunden ist das großartige Stück zudem auch recht kompakt, bedenkt man, dass traditionelle Peking-Opern mehr als 100 Akte haben können und an mehreren Tagen aufgeführt wurden.

Text: Sören Ingwersen

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