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Kai aus der Kiste

Lichthof Theater
Kai aus der Kiste

Die schwarze Hand fährt Straßenbahn (Zapf, Oster und Weiß, von l.)

Text: Angela Dietz | Foto: Marcus Renner

Überall in den Städten sind wir von Werbung umstellt. Auch der Alltag der Kinder ist durchdrungen vom Marktschrei „Kauf mich!“ Dass sich die Branche schon in der Weimarer Republik anarchischer Methoden bediente und somit Guerillamarketing keine neue Erfindung ist, zeigt Regisseur Gero Vierhuffs jüngste Kindertheater-Inszenierung „Kai aus der Kiste“. Die Bühnenadaption des gleichnamigen Kinderbuchklassikers von Wolf Durian ist eine witzige, „ganz unglaubliche Geschichte“.

Oliver Dressel als Mister Joe Allen gibt den allmächtigen, amerikanischen Schokoladenproduzenten in rosa Hemd und Anzugweste. Er ruft einen Wettbewerb um einen Reklamekönig aus. Die Bewerber könnten ungleicher nicht sein. Richard Zapf spielt Kai als einen sympathischen, mit allen Hinterhof-Wassern gewaschenen Berliner Bengel, der es locker mit dem arrogant-schmierigen Reklame-Agenten Herrn Kubalski (Christopher Weiß) aufnimmt. „Ich bin gut, aber nicht günstig!“, glaubt der Agent.

Ohne seine Freunde – es müssen gleich Hunderte sein – würde der Waisenjunge Kai mit seiner kleinen Schwester Erika (Fritzi Oster) nicht weit kommen. Sein Netzwerk aus armen Lausejungen, Spionen und kleinen Gaunern kommt Kubalski immer zuvor oder fährt ihm in die Parade. Deren Vorteil: sie kennen die Stadt wie ihre Westentasche. Hat Agent Kubalski eben noch Tausende von Plakaten für teures Geld drucken und aufhängen lassen, sind sie bald danach von den Kindern überklebt.

Doch das ist noch die konventionellste Strategie. Auf Schritt und Tritt macht sich Kais Bande bemerkbar und überrascht ein ums andere Mal. Ein Symbol – die schwarze Hand – erscheint überall, genauso wie die ins Gegenteil gewendete Taschendieb-Tour, bei der jeder Passant etwas zugesteckt bekommt. Reklame-Agent Kubalski ist sich nicht zu schade, den Jungen bei der Polizei zu denunzieren. Am Ende jedoch geht Kai als Sieger aus dem Wettbewerb hervor, bei dem es schon lange nicht mehr um Schokolade geht, sondern um die Weltherrschaft. „Ich will aus der Welt ein einziges, ungeheures Unternehmen machen!“, lautet Joe Allens Ziel.

Für dieses Mal durchkreuzt Kai die Vision des Fabrikanten jedoch: Er bleibt sein eigener Herr und schlägt das Angebot aus, mit Fabrikant Joe Allen zu reisen. Ein wenig verwirrend ist das Ende, denn plötzlich ist gar nicht mehr vom Geld, das Kai verdienen sollte, die Rede. Dramaturgisch nicht ganz schlüssig ist auch die Nebenszene mit Herrn Kubalski und seiner Braut.

Schön komisch und für heutige Kinder unmittelbar verständlich sind die dummen Pickelhauben-Polizisten und der unterwürfige Portier, die durch die Stellwand-Gassen von Ausstatter Marcel Weinand geistern. Dabei gibt es durchaus stille, berührende Momente, etwa, wenn die kleine Erika von einer Puppe träumt.

Regisseur Gero Vierhuff begeistert mit einer zuweilen turbulenten und durch starke Situationskomik gekennzeichneten Inszenierung. Die Schauspieler meistern die körperlich anspruchsvollen knapp 80 Minuten mit mehrfachen Rollenwechseln bravourös. Zu sehen bekommt das Publikum nämlich nur wenige aus der Kinder-Großstadt-Gang. Ausstattung, Slapstick-Choreografie, Rollenwechsel und Musik lösen das Problem und lassen vergessen, dass nur eine Handvoll Schauspieler zu sehen sind.

Roman Kellers streckenweise an Sinfonien des 20. Jahrhunderts erinnernde Musik dient dem Bühnenspiel vortrefflich und verbindet zugleich die Entstehungszeit des Stoffs im frühen 20. mit der Gegenwart im 21 Jahrhundert.

Das junge Premierenpublikum zeigt in der anschließenden Diskussion mit Regisseur und Schauspielern, dass es das überraschende und teilweise offene Ende zu interpretieren weiß.

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