Text: Birgit Schmalmack / Foto: Sophie Garcia
Große Namen, relevante Themen, Raum für Neues – all das erwartet der interessierte Zuschauer vom Sommerfestival auf Kampnagel. Von allem war dieses Mal etwas zu bekommen, aber leider auch einiges, was ohne großen Eindruck vorbeirauschte.
Zu den Enttäuschungen gehört die Michael Clark Company mit „To a simple Rock ʼnʼ Roll Song“, in dem sie Ballettübungen fast ohne jedes Gefühl abspulten, und das zur höchst emotionalen Musik von Dawid Bowie und Patti Smith. Ein sehr gezähmter Ex-Ballett-Punk war hier zu sehen.
Zu den Nettigkeiten des Festivals zählte Socalled & Friends. Ihre Puppenshow „The second season“ über die Missliebigkeiten des Kapitalismus war unbeschwerte Unterhaltung mit Wohlfühlcharakter durch ein wenig Gesellschaftskritik, die niemandem wehtat.
Eindrucksvoll war das Bühnenbild von „Endgame“, in dem das Stück von Samuel Beckett texttreu von Tania Bruguera inszeniert wurde. Es spielte in einem hallenhohen Zylinder, den die Zuschauer erklimmen mussten und so direkt in die weiße Endhölle der beiden Bewohner blickten. Doch es war eher die Arbeit einer Bühnenbildnerin als einer Regisseurin, die hier bewundert werden konnte.
Neue Erfahrungen durfte man bei Anne Dorsen und ihrem Stück „The Great Outdoors“ machen. In einem aufblasbaren Planetarium versuchte sie die Informationsflut des digitalen Netzes mit Hilfe der Entropie zu sortieren und das für die Zuschauer direkt erfahrbar zu machen. Während sie einer Textflut aus diversen Chats ausgesetzt waren, stellten die Projektionen auf die Halbkugel alles auf den Kopf und der Himmel stürze schließlich auf den Betrachter ein.
Enttäuschend war der Abend „Between what is no longer and what is not yet“ mit der Titelfigur des diesjährigen Sommerfestivals Juan Dominguez, der nur zur Initiation einer Gemeinschaftsaktion „Clean Room 3“ diente, aber kaum eigenen künstlerischen Mehrwert enthielt.
„Die Nacht der Maulwürfe“ von Philippe Quesne bot den Einblick in das Leben der lichtscheuen Pelztiere. Man konnte feststellen, dass sie ziemlich menschliche Züge tragen und sogar hervorragend musizieren können. Ein putziger, aber nicht unbedingt notwendiger Abend.
Forced Entertaiment feierte mit ihrem hoch gelobten Stück „Real Magic“ die Wiederholung. Eine kleine Quizsendungsszene wird über den Abend immer wieder mit genau dem gleichen Ausgang wiederholt. Gefangen in einer Wiederholungsschleife versuchten die drei Darsteller, die kleinsten Variationen zu einen Ereignis zu machen. Den großartigen Performern war es zu verdanken, dass dieser Abend nicht nur Momente der Langweile, sondern auch der humorvollen Selbstironie, des Nachdenkens, des Philosophierens und der Unterhaltung bereithielt.
Radhouane el Meddeb hat in „Facing the sea, for tears to turn into laughter“ versucht, den Wunden der Revolution seiner Ex-Heimat Tunesien nachzuspüren: der Ungewissheit, der Trauer, der Einsamkeit, der Hoffnungslosigkeit und der Zerrissenheit. Den tunesischen Künstlerpersönlichkeiten auf der Bühne waren aber nur wenige Gefühls- und Bewegungsäußerungen gestattet. Die meiste Zeit schritten sie ohne sich zu berühren über die leere Bühne. Erst die melancholischen, wunderschön interpretierten arabischen Lieder des Sängers Mohamed Ali Chebil und das Spiel des 23-jährigen Pianisten Selim Arjoun verschafften dem Stück emotionalen Tiefgang, der berührte.
Wo andere Arbeiten in der Reduktion ihrer Mittel ihren Fokus hatten, schüttete Mariano Pensotti im Überfluss Stilmittel und Geschichten über die Zuschauer aus. In der neuen Produktion „Loderndes Leuchten in den Wäldern der Nacht“ benutzte er die Mittel Puppenspiel, Film, Theater und Musical, um die Geschichten der drei Frauen und ihres Kampfes für Ideale in der heutigen Zeit zu zeigen. Eine Arbeit, die einen politischen Impetus offenbarte, der aus der Mode gekommen scheint und sich so wohltuend von der allgemein üblichen Indifferenz unterschied.
Absolut beeindruckend war die Arbeit „Kalakuta Republik“ von Serge Aimé Coulibaly, die weit über den Horizont Europas blicken ließ. Das Ensemble aus Burkina Faso führte vor, wie lebendig und politisch Tanz sein kann, der eine Botschaft hat. Die Biografie Fela Kutis, der den Afrobeat kreierte und eine politische Bewegung ins Leben rief, nehmen sie zum Anlass, um dem Kampf der Menschen in Burkina Faso für mehr Gerechtigkeit zu erforschen. Im ersten Teil erlebt man die Aufstände auf den Straßen, die in energiegeladenen Tanz übersetzt werden. Im zweiten Teil ist man im Fela Kutis Nachtclub angekommen, der erlahmt von Drogen, Sex und Dauerparty jeden Veränderungswillen verloren hat. Doch zum Schluss übernehmen die Frauen das Regiment und führen die Männer wieder auf die Straßen zurück. Solche Arbeiten, die aus der Kunst-Blase der westlichen Welt herausführen, hätte man sich mehr gewünscht.