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Kopfkino mit Joker und Satyr

„Manon Lescaut“, Hamburgische Staatsoper
Manon Lescaut

Die Schöne Manon (Norma Fantini) und das Biest Geronte (Tigran Martirossian)

Das Leben ist ein Zirkus. Und der findet im Kopf statt. So könnte man Philipp Himmelmanns Inszenierung von Giacomo Puccinis „Manon Lescaut“ an der Hamburgischen Staatsoper knapp auf den Punkt bringen. Riesenhafte Porträts von Gauklern und Varietékünstlern schauen von den Wänden herab (Bühnenbild: Johannes Leiacker). Unten tummelt sich eine nicht weniger illustre Truppe: Wie die Porträts in schwarz-weiß gehalten (Kostüme: Gesine Völlm) – die „Farbe“ des Stummfilms und des Traums – umringen Zirkusleute die schöne Manon (Norma Fantini), die von ihrem Bruder Lescaut (Lauri Vasar) ins Kloster gebracht werden soll. Aber natürlich bleibt die Schöne männlicherseits nicht unentdeckt. Gleich zwei Kavaliere haben es auf sie abgesehen: der aufrichtig liebende, aber mittellose Student Renato Des Grieux (Carlo Ventre) und der alternde, triebgesteuerte, aber wohlbetuchte Geronte di Ravoir (Tigran Martirossian).

Manon entscheidet sich für den Luxus und verschmäht – vorerst – die Liebe. Damit beim Zuschauer keine falschen Vorstellungen über die unedlen Motive des Geronte aufkommen, hat man eine Art Satyr aus ihm gemacht mit Tierfell, Hörnern und gut ersichtlicher Dauererektion. Wobei Martirossians brustschwellender Bass das Bild des kraftstrotzenden Urviehs hervorragend unterstreicht. Stimmlich auf Augenhöhe und darstellerisch ohnehin außer Konkurrenz gibt Vasar den Bruder Manons mit klangschönem Bariton und entpuppt sich als zwielichtiger Strippenzieher, wenn es darum geht, seine Schwester strategisch klug zu verkuppeln. Da Lescaut seinen Unterhalt durchs Kartenspiel verdient, gleitet er als Kopie des Batman-Gegenspielers Joker über die Bühne und scheut auch vor einem Spagat im wahrsten Sinne des Wortes nicht zurück.

Keinen Spagat mussten die Philharmoniker wagen, denn unter der Leitung von Carlo Montanaro wussten sie die rhythmischen und klanglichen Finessen der Partitur brillant zu meistern. In der Titelpartie hätte man sich noch einen etwas farbreicheren Sopran gewünscht, wenngleich Fantini besonders die Wiedersehensszene mit Des Grieux schön ausgestaltet. In dessen Rolle lässt Ventre die ganze tenorale Kraft des verzweifelt Liebenden aufblühen und rührt ans Herz, wenn er Manon bittet, bei der geplanten Flucht nur ihre Liebe, nicht aber den Reichtum mitzunehmen. Was die Darstellung anbelangt, hätten ihn jedoch alle locker an die Wand spielen können, wenn er da nicht schon immer gestanden bzw. gesessen hätte. An der vierten, unsichtbaren Wand, durch die hindurch der arme Mann zwei Stunden lang gequält ins Publikum schauen musste. Denn – so erklärt der Regisseur im Programmheft – der Zuschauer schaut nur in den Kopf von Des Grieux, auf dessen „Hirnchaos“. Die Figur ist also außen vor, nimmt nicht an der Bühnenhandlung teil. Schade. Kopfkino ist gut. Aber echtes Kino ist besser.

Text: Sören Ingwersen
Foto: Monika Rittershaus

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