Text: Angela Dietz / Foto: Maraux Weiß
Applaus nach einer Vorstellung gibt es immer, starken Applaus öfters, tosenden selten. Ulrike Monecke vom Theater Ozelot erhielt für ihre Darstellung der Prinzessin Glücklos im Fundus Theater im Rahmen des Festivals „Spurensuche“ tosenden Applaus vom Publikum. Doch das ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Die Schauspielerin verkörperte allein eine gesamte Königsfamilie, einen weiteren König, den bösen, die Hexe, die Spitzenklöpplerinnen, den Krämer, Francesca, die heitere Wäscherin und den Prinzen.
Wenn das Festival Spurensuche präsentieren möchte, was in der Freien Kindertheaterszene landauf, landab State of the Art ist, dann kehrt die Ozelot-Inszenierung unter der Regie von Gabriele Hänel zu den Theater-Ursprüngen zurück. Mimik, Gestik, der Körper, die Stimme und sehr wenig, klug und faszinierend eingesetztes, einfaches Material, mehr braucht Ulrike Monecke nicht, um ein Märchen in Szene zu setzen, das die Zuschauer von der ersten bis zur letzten Minute in den Bann zieht. Ein Bann aus Komik, unglaublicher Spielfreude, Präsenz und Präzision, immer wieder begleitet von schallendem Gelächter im Zuschauerraum.
Der Stoff für die Geschichte ist ein altes sizilianisches Märchen. Einer glücklichen, noch im Schlaf lachenden, spanischen Königsfamilie mit sieben Töchtern – mit einer einzigen Geste zeigt Monecke die Töchter – erklärt der Nachbarkönig den Krieg. Die glückliche Familie verliert, der König wird gefangen genommen. Flamenco-Geklacker der Schuhe bringt die Flucht zu Gehör und ins Bild.
Und nun sieht sich die Königsmutter von der Unglücksprophezeiung der alten Wahrsagerin bedroht. Wenn sie die jüngste Tochter, Prinzessin Glücklos, fortschickt, damit dieser das Unglück folgen kann, ist die Familie befreit. Die Mutter bringt es nicht übers Herz, doch die Prinzessin verlässt heimlich das Haus. Am Ende der Reise geht das Märchen gut aus – wie sonst? Ein Prinz, eine Hochzeit und jede Menge Gold, der König ist befreit.
Jede Figur hat eine eigene Stimme, eine eigene Sprache, Gemurmel und Gebrabbel, Singsang, Gegrummel, Gekicher oder einen Dialekt. Der Krämer hamburgert, die Chefnäherin sächselt. Was anderswo sattsam bekannt als bloßer Effekt erscheint, dient der großen Komikerin Ulrike Monecke zur Charakterisierung einer Figur mit quasi einem Pinselstrich. Das Spiel mit Klischees gerät nie zum Klischee.
Musik braucht die Schauspielerin nicht, wenn doch, summt sie selbst, Lichtwechsel auch nicht. Das Kostüm allerdings spielt eine bedeutende Rolle. Die schwarzen Röcke und Tücher und wenig weißer Stoff, wie alles andere einfach und raffiniert, verwandeln blitzschnell den Rock in die Kapuze, die Klöpplerin in die Hexe. Der hochgezogene Rock gibt weiß-betuchte Wäscherinnenbeine frei, die im Bach stehen: „blubb-blubb“. Rollenwechsel gelingen so in Sekundenschnelle. Stimmen- und Gestenwandel und eine leicht verschobene Körperhaltung transformieren die Figuren ebenso rasch.
Wenige Ingredienzen aus dem 20./21. Jahrhundert transferieren die alte Geschichte in die Gegenwart, nein, eigentlich in die Zeitlosigkeit. Plastikflaschen als Hexenlatschen, eine Handvoll Worte, die die zeitgenössische Vielfalt von Kinderfahrzeugen und ihren Wahn vor Ohren führen: Einrad, Zweirad, Dreirad … Snowboard. Königskinder haben viel Spielzeug.
Besonders staunenswert ist außerdem die Erzählweise. Ein Faden wird wortwörtlich und bildlich aufgenommen und weitergesponnen. Auf einer mit schwarzem Stoff bezogenen Tafel entsteht mit einem Faden, den Monecke simpel und ausgeklügelt zugleich von Stecknadel zu Stecknadel zieht, die Reisestrecke der Prinzessin samt Häusern. Bühnenbauer Oliver Dassing und Marlis Hirche „können Geometrie“. Denn das fadendünne Bild ist nicht nur nicht fadenscheinig, sondern perspektivisch. Winzige weiße Papierbilder, die kleine Prinzessin Glücklos und die Sonne, kleben im Fadenraum.
Wie sich das Unglück in Glück verwandelt, wie die kleine Prinzessin das schafft, wird nicht verraten. Nur so viel sei gesagt: Es geht um Klugheit und Berührung und das mit Witz. Ein klein wenig Philosophie muss sein, das gehört auch zu dieser atemberaubenden Inszenierung vom Theater Ozelot aus Berlin.