Highlight / Kinder & Jugend / Kritik / Spurensuche 2014

Mutige Prinzessin Glücklos

Theater Ozelot im Fundus Theater
Mutige Prinzessin Glücklos

Zieht die Zuschauer von der ersten bis zur letz­ten Minute in ihren Bann: Ulrike Monecke vom Thea­ter Ozelot

Text: Angela Dietz / Foto: Maraux Weiß

Applaus nach einer Vorstel­lung gibt es immer, star­ken Applaus öfters, tosen­den selten. Ulrike Monecke vom Thea­ter Ozelot erhielt für ihre Darstel­lung der Prin­zes­sin Glück­los im Fundus Thea­ter im Rahmen des Festi­vals „Spuren­su­che“ tosen­den Applaus vom Publi­kum. Doch das ist noch nicht einmal die halbe Wahr­heit. Die Schau­spie­le­rin verkör­perte allein eine gesamte Königs­fa­mi­lie, einen weite­ren König, den bösen, die Hexe, die Spit­zen­klöpp­le­rin­nen, den Krämer, Fran­ce­sca, die heitere Wäsche­rin und den Prinzen.

Wenn das Festi­val Spuren­su­che präsen­tie­ren möchte, was in der Freien Kinder­thea­ter­szene land­auf, landab State of the Art ist, dann kehrt die Ozelot-Insze­nie­rung unter der Regie von Gabriele Hänel zu den Thea­ter-Ursprün­gen zurück. Mimik, Gestik, der Körper, die Stimme und sehr wenig, klug und faszi­nie­rend einge­setz­tes, einfa­ches Mate­rial, mehr braucht Ulrike Monecke nicht, um ein Märchen in Szene zu setzen, das die Zuschauer von der ersten bis zur letz­ten Minute in den Bann zieht. Ein Bann aus Komik, unglaub­li­cher Spiel­freude, Präsenz und Präzi­sion, immer wieder beglei­tet von schal­len­dem Geläch­ter im Zuschauerraum.

Der Stoff für die Geschichte ist ein altes sizi­lia­ni­sches Märchen. Einer glück­li­chen, noch im Schlaf lachen­den, spani­schen Königs­fa­mi­lie mit sieben Töch­tern – mit einer einzi­gen Geste zeigt Monecke die Töch­ter – erklärt der Nach­bar­kö­nig den Krieg. Die glück­li­che Fami­lie verliert, der König wird gefan­gen genom­men. Flamenco-Gekla­cker der Schuhe bringt die Flucht zu Gehör und ins Bild.

Und nun sieht sich die Königs­mut­ter von der Unglücks­pro­phe­zei­ung der alten Wahr­sa­ge­rin bedroht. Wenn sie die jüngste Toch­ter, Prin­zes­sin Glück­los, fort­schickt, damit dieser das Unglück folgen kann, ist die Fami­lie befreit. Die Mutter bringt es nicht übers Herz, doch die Prin­zes­sin verlässt heim­lich das Haus. Am Ende der Reise geht das Märchen gut aus – wie sonst? Ein Prinz, eine Hoch­zeit und jede Menge Gold, der König ist befreit.

Jede Figur hat eine eigene Stimme, eine eigene Spra­che, Gemur­mel und Gebrab­bel, Sing­sang, Gegrum­mel, Geki­cher oder einen Dialekt. Der Krämer hambur­gert, die Chef­nä­he­rin säch­selt. Was anderswo satt­sam bekannt als bloßer Effekt erscheint, dient der großen Komi­ke­rin Ulrike Monecke zur Charak­te­ri­sie­rung einer Figur mit quasi einem Pinsel­strich. Das Spiel mit Klischees gerät nie zum Klischee.

Musik braucht die Schau­spie­le­rin nicht, wenn doch, summt sie selbst, Licht­wech­sel auch nicht. Das Kostüm aller­dings spielt eine bedeu­tende Rolle. Die schwar­zen Röcke und Tücher und wenig weißer Stoff, wie alles andere einfach und raffi­niert, verwan­deln blitz­schnell den Rock in die Kapuze, die Klöpp­le­rin in die Hexe. Der hoch­ge­zo­gene Rock gibt weiß-betuchte Wäsche­rin­nen­beine frei, die im Bach stehen: „blubb-blubb“. Rollen­wech­sel gelin­gen so in Sekun­den­schnelle. Stim­men- und Gesten­wan­del und eine leicht verscho­bene Körper­hal­tung trans­for­mie­ren die Figu­ren ebenso rasch.

Wenige Ingre­di­en­zen aus dem 20./21. Jahr­hun­dert trans­fe­rie­ren die alte Geschichte in die Gegen­wart, nein, eigent­lich in die Zeit­lo­sig­keit. Plas­tik­fla­schen als Hexen­lat­schen, eine Hand­voll Worte, die die zeit­ge­nös­si­sche Viel­falt von Kinder­fahr­zeu­gen und ihren Wahn vor Ohren führen: Einrad, Zwei­rad, Drei­rad … Snow­board. Königs­kin­der haben viel Spielzeug.

Beson­ders stau­nens­wert ist außer­dem die Erzähl­weise. Ein Faden wird wort­wört­lich und bild­lich aufge­nom­men und weiter­ge­spon­nen. Auf einer mit schwar­zem Stoff bezo­ge­nen Tafel entsteht mit einem Faden, den Monecke simpel und ausge­klü­gelt zugleich von Steck­na­del zu Steck­na­del zieht, die Reise­stre­cke der Prin­zes­sin samt Häusern. Bühnen­bauer Oliver Dassing und Marlis Hirche „können Geome­trie“. Denn das faden­dünne Bild ist nicht nur nicht faden­schei­nig, sondern perspek­ti­visch. Winzige weiße Papier­bil­der, die kleine Prin­zes­sin Glück­los und die Sonne, kleben im Fadenraum.

Wie sich das Unglück in Glück verwan­delt, wie die kleine Prin­zes­sin das schafft, wird nicht verra­ten. Nur so viel sei gesagt: Es geht um Klug­heit und Berüh­rung und das mit Witz. Ein klein wenig Philo­so­phie muss sein, das gehört auch zu dieser atem­be­rau­ben­den Insze­nie­rung vom Thea­ter Ozelot aus Berlin.

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*