Sie stürmen das Foyer des Kolbenhofs, einer alten, vor zwei Jahren geschlossenen Fabrik in Ottensen, wie richtige Helden. Sie sind bewaffnet, ungewöhnlich gekleidet – und sie sind zu dritt. Ganz klar, der Supermann, sein treuer Gefährte und eine Frau. Das Trio verschwindet in den ersten Stock, nachdem es nach kaputten Gegenständen gefragt hat. Das Publikum folgt neugierig, nimmt in einer Werkstatt Platz, in der sich die verschiedensten Gegenstände in der Mitte türmen. An der Wand prangt der Spruch: „Erst in der Werkstatt habe ich das Denken gelernt.“ Hier arbeiten unsere drei Helden, reparieren, erläutern warum.
Die Reparatur ist aus der Mode gekommen, seitdem die Wirtschaftsbosse eine Superidee hatten: „die organisierte Unzufriedenheit“. Luxus galt zunehmend als lebensnotwendig, unbedingt begehrenswert. Deshalb schämten sich besonders junge Menschen für selbst wieder Geflicktes. Alles musste neu sein, und der Rubel rollte. „Alt oder Repariert war verschmäht.“ Diesen Zustand wollen unsere Helden ändern. Zutiefst sind sie, die Protagonisten der Lichthof-Produktion „Wie neu!“, davon überzeugt, dass man statt neu einzukaufen alles reparieren sollte. Nach dem Motto: „Was einmal heil war, kann auch wieder heil werden. Man braucht nur das richtige Werkzeug.“
Sie haben sogar zehn Gebote. Zum Beispiel: Du sollst nichts wegwerfen, Du sollst deine Werkstatt heiligen, oder Du darfst nicht zerstören, um etwas anderes zu reparieren. Nun werden die Damen und Herren, die sich zu Beginn mit beschädigten Gegenständen gemeldet hatten, in die Werkstatt gebeten. Unsere drei Helden setzen sich mit ihnen an ihren Arbeitsplatz und besprechen das Problem. Um sie dazu zu bringen, den Schaden selbst zu beheben. Die Menschen in die Reparatur involvieren, eine eigene Beziehung zu den Dingen herstellen. Darum geht es den drei Reparierern.
Im Folgenden zeigen die Werkstattheiligen, dass nicht nur Dinge, sondern auch Überraschungen und menschliche Beziehungen zu Bruch gehen können. Kleinfamilie: Sohn besucht seine Eltern, unterhält sich mal wieder mit dem cholerischen Vater. Mutter freut sich riesig drüber. Doch der alte Vater-Sohn-Konflikt bricht wieder auf. Sohnemann verlässt das Haus. Kaputt. Joscha Henningsen (Sohn) und Joachim Kappl (Vater) spielen es ganz großartig. Anschließend Joscha Henningsen noch mal stark in seinem Monolog über „neurologische Reparatur“: Wie lösche ich Phobien aus? Doch Reparaturen sind nicht nur notwendig, sie eignen sich auch ideal für publikumswirksame Großereignisse, wie der Reparaturwettbewerb „Speed repair“ zeigt. Reparieren, so schnell wie möglich. Da wird dann auch gern mal geschummelt. Wer erwischt wird, muss fünfmal das Gebot der Helden der Reparatur aufsagen, gegen das er verstoßen hat.
Wie Reparatur ad absurdum geführt werden kann, erläutert eine 77-Jährige, die ein einziges Ersatzteillager ist: Handy im Knie, Wok als Beckenstütze, ein viertes Gesicht, LKW-Plane, Espressotasse und vieles mehr in den Körper eingebaut. Ein Chip koordiniert das „Kunstwerk“. Da hat Samantha Hanses ihren großen Auftritt. Und nun erscheint der Hausmeister, will dem Theater ein Ende bereiten. Unvorgesehener Abbruch? Nein, er führt, abwechselnd gespielt von den Autoren des Textes, Marc von Henning und Frank Dudden, das Publikum in die alte Halle des Kolbenhofes, eine riesige ausgeräumte Fabrikhalle, und erläutert deren Geschichte. Da haben die Reparaturhelden ihren letzten, musikalischen Auftritt – und kommen zu dem zwiespältigen Schluss: „Die Welt geht nicht kaputt, weil sie noch nie heil war.“
Diesen höchst unterhaltsamen und anregenden Abend übers Reparieren in der einfallsreichen Regie von Susanne Reifenrath und Marc von Henning (in Kooperation mit der theater altonale 12) sollte sich niemand entgehen lassen, zumal im genau passend gewählten Ambiente drei sehr gute Schauspieler agieren.
Text: von Christian Hanke
Foto: G2 Baraniak
Weitere Aufführungen am 14., 15., 16. und 17 Juni im ehemaligen Fabrikgelände
in der Friedensallee 128 (Kolbenhof) in Halle 5. Karten unter www.lichthof-theater.de