Text: Christian Hanke / Foto: Oliver Fantitsch
An einer langen Tafel sitzen die Mitglieder des Hamburger Rats, irgendwann Ende des 14. Jahrhunderts, und debattieren darüber, wie man der Seeräuberplage Herr werden könnte. Das ist sehr komisch, denn die hohen Herren entpuppen sich in ihren Dialogen als ziemlich dösbaddelig, um es einmal hamburgisch zu sagen. Um eine Hamburger Legende geht es nämlich in dem musikalischen Theaterspektakel von Peter Jordan, dessen Anfangsszene die besagte Ratssitzung bildet. „Störtebeker – Fluch der Nord & Ostsee“ lautet der Titel in Anlehnung an einen beliebten Film-Mehrteiler aus einem weiter entfernten Gewässer. Die umjubelte Premiere ging im April im St. Pauli Theater über die Bühne. Die Anfangsszene gibt einen Vorgeschmack auf das Folgende: Es darf gelacht werden, denn Komik, um nicht zu sagen Klamauk, dominiert diese Inszenierung. Ob als Ratsherren, Piraten oder als Friesenhäuptling, das zehnköpfige Ensemble in Doppel- und Dreifachrollen hat es in erster Linie auf die Lachmuskeln des Publikums abgesehen. Dafür werden alle Register gezogen, von ganz platt über Comedy bis Monty-Python-Stil.
Eine Geschichte gibt es auch, eine ganz eigene, denn das Leben des Klaus Störtebeker liegt nahezu komplett im Dunkeln. Daher bemühen sich Autor und Regisseur Peter Jordan und sein Regiekollege Leonhard Koppelmann gar nicht erst, Geschichte zu schreiben. Stattdessen haben sie „ein stürmisches, ganz subjektives Musiktheater“ über die Seeräuber- Legende verfasst. Und die geht so: Störtebeker, ein idealistischer, mitunter etwas naiver Softie, raubt mit seinen Piraten-Kumpels Schiffe mit wechselnder Beihilfe der Ostseemächte aus. Man teilt die Beute gleichmäßig untereinander auf und unterstützt mit dem Geraubten auch die Armen. Ein Auslaufmodell, dem Störtebekers Gegenspieler, der nach Hamburg eingewanderte Holländer Simon von Utrecht, ein erfolgreicher Käsehändler, mit kaufmännischem Geschick und raffinierter Diplomatie den Garaus macht. Er verkörpert in Jordans Musikspektakel eine neue Zeit, in der weniger mit Kanonen als mit Kapital gekämpft wird. Der gefangene Störtebeker verweigert sich dieser Entwicklung und muss deshalb sterben.
Schade, dass diese Geschichte im lärmenden Klamauk fast untergeht. Frank Richartz spielt den ungewöhnlichen Störtebeker mit wallend langem Haar und sanfter Stimme, weit entfernt vom Bild des grimmigen Piraten, das allgemein von ihm gezeichnet wird. Dem klassischen Piratenbild entspricht dagegen Stephan Schad als Störtebekers älterer Mitstreiter Gödeke Michels, der Störtebeker in Jordans Musical verrät, um selbst aussteigen zu können. Schad, der auch den Hamburger Bürgermeister Kersten Miles spielt, ist der Star des Abends. Großartig auch Lea Sophie Salfeld in der Dreifachrolle als emanzipiert-kämpferische Tochter des Friesenhäuptlings Keno ten Broke, die sich in Störtebeker verliebt, als Piratenbraut und kritische Ehefrau des Simon von Utrecht.
Für Komik-Highlights sorgen immer wieder die Piraten, Ratsmitglieder und Fischmarktbesucher, verkörpert von denselben Spielern, größtenteils Mitglieder der Band „Albers Ahoi“, die für einen weit gefassten Musikmix sorgt: Shanties, Swing, Heavy Metal – alles dabei. Und natürlich wird gefochten und geprügelt, was das Zeug hält. Auch wenn die Kerngeschichte nicht die Hauptrolle spielt – langweilig wird’s mit diesem Musikspektakel nie.
Aufführungen bis 5. Mai im St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29-30.