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Vanitas_Everyman

Opera stabile
Vanitas_Everyman

Begegnungen in der Zeit: Frank Jordan, Michael von Rospatt und Rebecca Jo Loeb (v.l.n.r.)

Text: Sören Ingwersen | Foto: Steffen Gottschling

Es gibt Momente, in denen wir uns unserer Sterblichkeit bewusst werden, auf unser Leben zurück schauen und Bilanz ziehen. Es sind dies meist Momente des In-sich-gekehrt-Seins, der Ruhe, der Entzeitlichung. Solch einen Moment – entfaltet auf 75 Minuten – erlebt man in „Vanitas_Everyman“, einer Opernproduktion im Rahmen der Staatsopern-Reihe „Black Box 20_21“ in der Opera stabile.

In einer Kopplung von Salvatore Sciarrinos „Vanitas“- Gesängen, die der Komponist vielsagend als „Still-Leben“ deklariert, mit Motiven aus dem Roman „Everyman“ („Jedermann“) des amerikanischen Autors Philip Roth findet Regisseurin Nina Kupczyk zu einer andeutungsreichen, entschleunigten Bühnensprache. Ein gleichmäßig ausgeleuchtetes Bodenquadrat mit Stuhlreihe erinnert an einen Wartesaal, die verstreuten alten Koffer und Puppen sind Überbleibsel eines gelebten Lebens. Auch die drei männlichen Darsteller – der Junge (Mariella Michaelis), der Mann (Frank Jordan) und der alte Mann (Michael von Rospatt) – stehen für ein räumliches Nebeneinander zeitlich getrennter Zonen: ein fiktiver Ort der Selbstbegegnung.

„Vanitas“ meint Vergänglichkeit, aber auch die Eitelkeit, mit der wir versuchen, uns selbst und andere über unsere Endlichkeit hinwegzutäuschen. Mezzosopranistin Rebecca Jo Loeb begegnet in der Rolle der Frau ebenfalls ihrem älteren Ich (Ingrid Gloth) und legt eine beachtliche solistische Gesangsleistung an den Tag. Während das Klavier (Rupert Burleigh) mit einzeln angeschlagenen Akkorden und das Cello (Markus Tollmann) mit sparsamem Einsatz die Rahmenbedingungen für eine in Klang gefasst Stille liefern, fungiert Loebs formschöner Mezzo einerseits als stimmliches Echo, bahnt sich aber auch im Alleingang seinen Weg.

Wo Sciarrinos meditative Vertonungen von Dichtungen der Renaissance und des Barock nicht nur klanglich in höhere oder tiefere Sphären führen, schildern die gesprochenen Texte von Roth in alltagsnahem Jargon Lebensstationen der männlichen Figur(en). Und wir spüren – auch durch die Anwesenheit zweier Schatten (Ralf Hutter und Martin Lüders) –, dass uns das Ende von Anfang an begleitet. Gut, wenn man sich das beizeiten bewusst macht. Der Besuch dieses tief an den Seinsgründen rührenden Musiktheaters bietet hierzu eine hervorragende Gelegenheit.

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