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Von Klonen und Kampfrobotern

Tim Fischer: „Satiriker sind keine Lyriker“, St. Pauli Theater
Tim Fischer

Tim Fischer mit der Zigarette danach

„Kennst du das Land, wo die Matronen glüh‘n?“ Saures Obst raus, lüsterne Frauen rein. Umdichtungen dieser Art sind witzig. Doch ohne Tim Fischers Gesten, in diesem Fall knappe Andeutungen weiblicher Üppigkeit, ist es höchstens der halbe Genuss. Man muss ihn sehen, wenn er singt. Das gilt einmal mehr für sein jüngstes Programm: „Satiriker sind keine Lyriker“. Einen Abend lang interpretiert der Sänger und Schauspieler ausschließlich Songs von Gerhard Woyda, 87-jähriger Texter, Komponist und Gründer des legendären Renitenztheaters für politisch unkorrekte Kleinkunst in Stuttgart.

„Man müsste Männer klonen“, glaubt man Tim Fischer aufs Wort. Und den musikalisch untermalten „Orgasmus“ nimmt man ihm ebenso ab wie sein Geständnis „Ich fahr‘ ab auf alte Ladies“, während er mit ausgesuchten Damen der ersten Reihen flirtet – die natürlich alle nicht gemeint sein wollen und lachend protestieren. Im „Börsenfieber“ fantasiert Fischer wunderbar wirr von der steigenden Viagra-Aktie, und als Kampfroboter weiß er, „Kriege wird es nicht mehr geben“. Letzteres ist das vielleicht beste Beispiel für eine gelungene Koinzidenz: Während die Verse Visionen eines weltweiten Kampfes menschenfreier Killermaschinen heraufbeschwören, kriecht die Komposition bedrohlich unter die Haut – sie klingt verdächtig nach nazibrauner Marschmusik. Das Spektrum der Wunden, in die Gerhard Woyda seine Finger legt, ist breit, dabei verliert allerdings die Stoßrichtung manchmal ihre Schlagkraft. Blitzt sein Lied vom Blumenhasser vor wortgewandter Boshaftigkeit, so kommt das „Schülerschicksal“ dagegen altbacken und harmlos daher, obwohl es vom hochexplosiven Amoklauf als Flucht vor dem Leben erzählt. Dass die Balance zwischen Entertainment und Entlarvung großartig gelingt, liegt an Tim Fischers Performance: In Sekunden verwandelt er sich und lässt die Stimmung kippen, damit das Lachen im Hals stecken bleibt. So geschehen im Fall einer Muslimin, die „Das Kopftuch“ hochhält, und beim Abgesang auf Angela Merkels „Hose“. Apropos (Ex-)Regierungschef, Italiens Lieblingsmotiv darf nicht ungeschoren bleiben: Der kleine Mann und sein Größenwahn werden im besten Sinn potenziert, „Berlusconi“ bietet bekanntlich reichlich Angriffsfläche für allerlei Anzügliches und genug Stoff für ein mehrstrophiges Spottlied. Zwei Pianisten geben sich die Tasten in die Hand, neben Gerhard Woyda wird Tim Fischer von seinem langjährigen Bühnenpartner Rainer Bielfeldt am Flügel begleitet. Nächster Termin: 19.3. um 20 Uhr im St. Pauli Theater.

Text: Dagmar Ellen Fischer
Foto: Brigitte Dummer

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