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www und all das

Fundus Theater
www und all das

Zwei Netzprinzessinnen vor verdoppeltem Kind auf dem Screen

Text: Angela Dietz | Foto: Hanno Krieg

Wie irre hämmert Henny (Monika Els) auf der unsichtbaren Tastatur herum. Das Mädchen sitzt vor dem neuen Internet-Computerspiel und hat einen roten Helm auf. Henny will unbedingt das nächste Level erreichen. Mamas Rufen hört sie nicht; und wenn was nicht klappt, rastet sie aus und kreischt ausdauernd. Was für eine Nervensäge! Was ist nur mit dem Kind los?

Mama (Tine Krieg) muss endlos lange Formulare ausfüllen, der Vater liegt im Krankenhaus im Koma. „Pah, der schläft doch nicht, der hatte doch die Augen auf“, sagt Henny patzig. Die Mutter spricht sanft mit ihr. „Nimmʼ doch den Helm ab.“ Doch Henny will nicht, und die Mutter lässt sie. Ab und zu klingelt das Telefon, und sie spricht in zurückhaltendem Ton. Was ist nur mit der Mutter los?

Nach und nach erfährt das Publikum die tragikomische Geschichte: Ein Schwan fiel vom Himmel, dem radelnden Vater auf den Kopf und Henny war dabei. Deshalb bleibt ihr Helm auf dem Kopf. Man weiß ja nie … Und das Spiel, das lenkt so schön ab. Wird Papa wieder gesund? Wann kommt er nach Hause? Und überhaupt, was hat er für eine merkwürdige Krankheit?!

Das World Wide Web ist trotz der überbordenden Bildwelten auf dem Schirm eine ziemlich abstrakte und komplexe Sache. Deshalb ist es kein Leichtes, für die Bühne Bilder zu finden. Das Fundus-Team hat sich für seine jüngste Eigenproduktion unter der Regie von Sylvia Deinert dazu einiges einfallen lassen.

Ein schwarz gewandeter Chor gibt das Internet-Ballett. Er vertritt die User-Stimmen im Netz, die vielen Sites, Chatrooms, Links, Cyber-Ebenen, Pop-Ups und so weiter und so fort. Immer wieder tragen Gyde Borth, Monika Els, Tanja Gwiasda und Tine Krieg murmelnd und wispernd unsichtbare Tabletts umher, auf denen sie ebenso unsichtbare Informationen servieren. Sie sind die personifizierten Datenmengen: Content und Software. Gelegentlich wischt elegant eine Hand auf Bauchhöhe quer darüber – ein augenzwinkernder Anschluss an die Touchscreens.

Die Geister des Web erscheinen als Taschenspielertrick der komischen Art. Ab und zu steht der Chor, die Hände in den Schürzentaschen, dem Publikum zugewandt da. Husch, die Schürzen hoch und aus den Taschen lugen kasperlegroße Figuren. So ist flugs eine weitere Spielebene eingezogen.

Die Ausstattung ist so überbordend, wie es auf realen Bildschirmen häufig flattert, flackert, flimmert, aufploppt und -fährt. Auf der dadurch etwas unübersichtlichen, mit vielen Requisiten ausgestatteten Bühne herrscht der schwarze Halbkreis. Eine geöffnete Rotunde in der linken hinteren Ecke ist das Zuhause von Henny und Mama, die andere beherrscht ein halbrunder Tresen, angerichtet ist das Technik-Buffet für Frank Helmrich. Aus den Lautsprechern knackt, sirrt, brummt, rumpelt und quietscht es. Helmrich (fern)steuert Musik, Ton und Minikameras – welcher Erwachsene denkt dabei derzeit nicht an die grenzenlose Dauerüberwachung unserer digitalen Welten, an Drohnen – und kleine Viren-Viecher auf dem Boden. Oder doch nicht? Was steuert er tatsächlich?

Wenn Henny das nächste Level erreicht, flitzen Matchbox-Autos, hüpfen Spaßvögel und kämpfen Ungeheuer. Spielwelten voller Figuren, die zunächst lustig, manchmal absichtlich albern sind. Schleichend werden sie immer bedrohlicher, zuletzt ist die liegende Barbie auf einem Drachen festgekettet. Es sind Miniaturwelten in einer Kiste, übertragen mithilfe der Minikameras auf eine Leinwand hinten in der Mitte. Und dort auf Hennys und unserem Bildschirm wirkt diese Miniaturwelt überhaupt nicht niedlich.

Aber „www und all das“ wäre kein Kinderstück, wenn nicht am Ende alles gut würde. Papa wacht auf. Auch wenn er jetzt erst mal richtig schläft, wird er wieder gesund. Mama ist wieder aufmerksam und verhindert, dass Henny gefährliche Dummheiten im World Wide Web macht und zu viel von sich verrät. Dem Fundus Theater ist die Inszenierung zum Thema Kinder im Web mit vielen komischen Momenten rundum gelungen. Sie trägt die ganz eigene Handschrift des Theaters und schöpft aus der Fülle. Der nicht ständig eingesetzte, präzise arbeitende Chor hilft mit seiner vorgetäuschten Mechanik, ab und zu den Blick zu konzentrieren.

Eine Geschichte mit opulenter Bildwelt, in der man sich fast verirren kann – wie im Netz.

Aufführung am 21. Februar 2014 beim Hamburger Kindertheater Treffen „Auf die Plätze …“ im Fundus Theater

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